Volltext: Gesellschaft, Künstler und Kommunismus

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ökonomisch eine fast hundert Jahre alte Praxis wie Theorie des 
Sozialismus zur Verfügung hat, ergänzt durch die Erfahrungen des 
russischen Staats, die allein eine fast unübersehbare Literatur aus 
machen — sind die Fragen kommunistischer Kunst, d. h. zunächst: 
von kommunistischer Weltanschauung erfüllter Kunst nur in 
einigen wenigen Broschüren erörtert worden, die Künstler sind 
sich selbst überlassen und ihren individual begrenzten Anschau 
ungen. 
Es soll daher hier auch nicht der Versuch gemacht werden, 
erschöpfend und systematisch die Fragen zu untersuchen: Welche 
Rolle hat die Kunst bei gesellschaftlichen Revolutionen bisher ge 
spielt, welche massenpsychologischen Gesetze machten ihre Wir 
kung aus und welche standen ihr im Wege — hat die Kunst gene 
relle revolutionäre Tendenzen oder ist sie verschieden wie nur je 
Völker, Klassen, Schichten, Kreise und Individuen usf. Diese 
Fragen gehen ins Uferlose, es erscheint fast ungewiß, ob sie ähn 
lich exakt behandelt werden können wie politische, soziale, wirt 
schaftliche, taktische Probleme. Ohne Beweisführung, ohne Be 
gründung ende daher diese Abhandlung mit den subjek 
tiv-empirischen Folgerungen: 
Die Bevölkerung im Sowjet-Staat wird auch in ihrer revolutio 
nären Masse ausgesprochen traditionell-konservative künstlerische 
Bedürfnisse äußern, der Schrei nach Sensation und Emotion beim 
Niedergang der bürgerlichen Diktatur wird rasch abgelöst werden 
vom Verlangen nach einem „geklärten“ Weltbild, nach allgemein 
gültigen, kulturellen, nicht nach ästhetischen, sensiblen, differenzier 
ten Inhalten. Die Künstlerschaft wird die technischen Fragen zu 
rückstellen hinter propagandistische, religiöse, ethische, satirische, 
sozialpsychologische Probleme und Versuche; Aufgabe der jungen 
proletarischen Kräfte muß es sein, vor allem die Gestaltung 
diesseitiger Ideen und Forderungen zu betreiben, etwa der Er 
höhung des materiellen Lebensstandards, der Entfaltung des sozialen 
Organismus und seiner Hilfsmittel, der Technik, Pädagogik und 
Hygiene, ferner soll der kommunistische Nachwuchs durch Ethos 
und Satire bekämpfen die menschliche Tendenz, in Erinnerung zu 
schwelgen, der Zukunft zu mißtrauen, in Konventionen zu er 
starren, einsiedlerisch ins Individuelle, Mystische, Exzentrische zu 
flüchten; er wird die Befreiung des Weibes, die Lösung sexueller 
Fragen im sozialen Sinne, kurz alles, was der menschlichen Ent 
wicklung dient, aufzurollen haben. Der kommunistische Künstler 
wird die Verantwortung auf sich nehmen müssen, daß der Kom 
munismus vom Staats- und E^istenzprinzip zum Prinzip des leben 
digen Bewußtseins wird; daß die Glücksmöglichkeiten, die eine
	        
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