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Campendonk gelang es ausnahmsweise die grundsätzlich
ablehnende Haltung wenigstens momentan zu durchbrechen.
An diesen Zuständen haben vier Jahre leidenschaftlichsten
Sicheinsetzens und mühevollster Kleinarbeit nichts zu
ändern vermocht, wohl aber bewogen sie den Unterzeichn
neten sich von der Geschäftsführung des Kunstvereins
zurückzuziehen.
Die einzige Privatsammlung der Stadt, die des Herrn
Dr. Grisebach umfaßt einige Blätter von Munch, Hodler,
Huber, Amiet, Giacometti und Kirchner. Hie oder da
besitzt jemand das eine oder andere Bild ähnlicher Richtung.
Es gelang erst in den letzten Jahren nicht selten, Bilder
von Campendonk, Bloch, Klee u. a. in verständnisvolle
Hände zu leiten, aber das sind mehr oder weniger Einzel-
fälle. In breiteren Kreisen wird hier die Kunst, soweit
sie nicht nur »Brücke« zwischen Alt und Neu darstellt, in
naher Zukunft schwerlich Verständnis finden.
Maler gibt es natürlich. Außerdem einen Expression
nisten, den gerade ich nicht ausführlicher erwähnen kann.
Die Zeitungen verhalten sich neutral. Das Museum
befaßt sich ausschließlich mit Stadtgeschichte. Kunst*
händler gibt es nicht. Dr. Walter Dexel.
KÖNIGSBERG i. Pr.
In der Umgebung Königsbergs werden sehr viele Kar
toffeln gebaut. Und in der Stadt verkauft. Und gegessen.
Da man Kartoffeln beim besten Willen nicht als geistige,
wohl aber als körperlich sättigende Nahrnng ansprechen
kann, geht daraus Königsbergs Verhältnis zur Neuen
Kunst klar hervor. Das soll nicht heißen, Königsberg sei
arm an wahrem Künstlertum. Keineswegs. Im Gegen-
teii. Ostpreußen, eingeordnet in das Kunstleben Europas,
stellt einen nicht unwesentlichen Faktor dar. Die Kunst
West- und Süddeutschlands weist vielfach nachweisbar
typisch östlichen Einfluß auf. Indessen, ich betone: Eu
ropa. Womit dargetan sein soll, daß Wille zur Kunst,
unbekümmert um alles andere, intensiv vorhanden ist.
Er ist es in der Tat. Das scheint mir nicht ohne
Bedeutung und nicht zu übersehen, wollte unserer
Stadt Kunstniveau man beurteilen. <Denn gottlob
bedingen nicht Kritiker oder Publikum das Kunst
niveau, sondern lediglich Künstler selbst.)
Europa. Die große Ausstellung dieses Jahres,
unstreitig die bedeutendste, die Königsberg je ge
sehen, veranstaltet von der Freien Künstlerver
einigung »Der Ring«, beherbergte Europa.
Francois Villon, Davringhausen, Kan-
dinsky,Kokoschka, Klee, Schmidt-Rott
luff, Barlach, Lehmbruck, Eber z, —Namen
von Klang. Wille, wie gesagt, ist da. Ausströmt
ihn eine Gruppe von Künstlern — eben »Der
Ring« — zusammen mit einigen Außenseitern.
Diese Wenigen sind als die geistigen Führer an
zusehen. Doch nicht Quantität, sondern Qualität
wertet. Und auch sie ist da. Alexander Kolde,
der Ekstatiker der Ruhe, GerhardT.Buchholtz,
dessen Bildwerke Farbe, Wort, Ton zu unerhörter,
lyrischer Symphonie vereinigen, Charles Girod,
der phantastische Schöpfer neuer Wesen und Formen,
Gestalter süßdunkler Märchenstimmung vom Geiste E.
T. A. Hoffmanns, nur zwingender und ganz eigenwegig,
Koschnitzki, Kuhnau, Freymuth — sie alle stellen
sich würdig an die Seite der anderen — : auch sie gehören
Europa!
Nicht nur die Malerei steht auf diesem Punkte. Zwei
Reformatoren der Plastik dürfen nicht vergessen werden:
Rosenberg und vor allem ArthurWellmann, dessen
Entwickelung die Kurve seines Wegs zu jäher Steilheit
emporriß. — Wenn heute immer noch das Kunstleben
Königsbergs allen anderen Städten nachhinkt, trostlos
niedrige Linie zeigt, — die Schuld trifft nicht die Künstler,
Grund ist nicht Mangel an guten Künstlern, — Ursache
suche man allein in der Stellungnahme der Presse! Völlige
Teilnahmlosigkeit in einem Teile, obstinate Verbohrtheit
ins Gegebene auf der anderen Seite,- das ist der traurige
Stand in der Königsberger Kunstkritik. Wohl gibt es
Ausnahmen. Aber auch sie vermögen nichts. Zumal
diese Ausnahmen nur insofern milder anzusehen sind, als
wenigstens sie zu Toleranz neigen. Indessen fehlt auch
ihnen das Wichtigste, Unentbehrlichste: Kunstemp
finden. <Man wolle doch bitte das Wort »Kunstver
ständnis« ausrotten! Kunst ist nicht eine Sache des Ver
standes, vielmehr ausschließlich eine Sache des Gefühls.)
Eine gewisse Presse steht auf besonders trostlosem Boden,
einem Boden, gemischt aus Arroganz und uferloser Bor
niertheit. Da sind beispielsweise Leute, die sich nicht ent-
blöden, irgend Kunstwerke abzulehnen, die von jüdischen
Künstlern stammen! Es gibt heute in Königsberg nicht
einen Kritiker, der vom Wesen der Neuen Kunst durch
drungen, der fähig wäre, sich hineinzufühlen!
Wie soll unter solcher »Führung« des Publikums Stel
lungnahme sich gestalten ?! Interesselosigkeit, blindes Nach
beten des Kritikergewäschs bestenfalls, oder Spott. Oder
Paul Klee
Südliches Stadtbild. (Aquarell)