Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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das alle Kunstarten zusammenfaßt zur künstlerischen Einheit. Zunächst habe ich einzelne Kunst* 
arten miteinander vermählt. Idh habe Gedichte aus Worten und Sätzen so zusammengeklebt, daß 
die Anordnung rhythmisch eine Zeichnung ergibt. Ich habe umgekehrt Bilder und Zeichnungen 
geklebt, auf denen Sätze gelesen werden sollen. Ich habe Bilder so genagelt, daß neben der 
malerischen Bildwirkung eine plastische Reliefwirkung entsteht. Dieses geschah, um die Grenzen 
der Kunstarten zu verwischen. Das Merzgesamtkunstwerk aber ist die Merzbühne, die ich bislang 
nur theoretisch durcharbeiten konnte. Die erste Veröffentlichung darüber erfolgte in der Sturm* 
bühne, achte Folge: »Die Merzbühne dient zur Aufführung des Merzbühnenwerkes. Das Merz* 
bühnenwerk ist ein abstraktes Kunstwerk. Das Drama und die Oper entstehen in der Regel aus 
der Form des geschriebenen Textes, der an sich schon, ohne die Bühne, als geschriebener Text 
ein abgerundetes Werk ist. Bühnen* 
bild, Musik und Aufführung dienen 
nur zur Illustration dieses Textes, 
der selbst schon eine Illustration der 
Handlung ist. Im Gegensatz zum 
Drama oder zur Oper sind sämt* 
liehe Teile des Merzbühnenwerkes 
untrennbar mit einander verbunden,- 
es kann nicht geschrieben, gelesen 
oder gehört, es kann nur im Theater 
erlebt werden. Bislang unterschied 
man zwischen Bühnenbild, Text und 
Partitur bei den Vorführungen im 
Theater. Man bearbeitete jeden 
Faktor einzeln und konnte ihn auch 
einzeln genießen. Die Merzbühne 
kennt nur die Verschmelzung aller 
Faktoren zum Gesamtwerk. Mate* 
rialien für das Bühnenbild sind sämt* 
liehe feste, flüssige und luftförmige 
Körper, wie weiße Wand, Mensch, 
Drahtverhau, Wasserstrahl, blaue 
Ferne, Lichtkegel. Man verwende Frans Masereel »Aber der wahre Gott antwortet: Friede auf 
Flächen, die sich verdichten, oder in Erden und den Menschen ein Wohlgefallen« 
Gewebe auflösen können, Flächen, Aus »Politische Zeichnungen« Erich Reiß, Berlin 
die sich vorhangartig falten, sich verkleinern oder erweitern können. Man lasse Dinge sich 
drehen und bewegen und lasse Linien sich zu Flächen erweitern. Man schiebe Teile in das 
Bühnenbild hinein und nehme Teile heraus. Materialien für die Partitur sind sämtliche Töne und 
Geräusche, die durch Violine, Trommel, Posaune, Nähmaschine, Ticktackuhr, Wasserstrahl usw. 
gebildet werden können. Materialien für die Dichtung sind sämtliche den Verstand und das 
Gefühl erregende Erlebnisse. Die Materialien sind nicht logisch in ihren gegenständlichen 
Beziehungen, sondern nur innerhalb der Logik des Kunstwerkes zu verwenden. Je intensiver 
das Kunstwerk die verstandesmäßig gegenständliche Logik zerstört, um so größer ist die 
Möglichkeit künstlerischen Aufbauens. Wie man bei der Dichtung Wort gegen Wort wertet, 
so werte man hier Faktor gegen Faktor, Material gegen Material. Man kann sich das 
Bühnenbild etwa in der Art eines Merzbildes vorstellen. Die Teile des Bildes bewegen und 
verändern sich, und das Bild lebt sich aus. Die Bewegung des Bildes vollzieht sich stumm,
	        
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