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AMERIKA
New *y ork als Kunstmarkt.
Herr Thomas E. Kirby, zur Zeit Präses der
amerikanischen Kunstgesellschaft, ein Veteran
auf dem Gebiet des Kunsthandels, da er seit
dem Jahre 1858 die Kunst aller Länder, jeden
Genres und Preises durch seine Hände gehen
sah, sieht im Augenblick New*York als das
Kunstzentrum der Welt an. Er schreibt dieses
Faktum in erster Linie der so außerordentlich
günstigen finanziellen Lage Amerikas nach dem
Kriege zu. Während früher Paris und London
bekanntermaßen New*Y ork als Kunstmarkt weit
übertrafen, hat sich seit Kriegsbeginn der Markt
immer mehr nach New*York verschoben und es
scheint nicht, daß normalere Zeiten ihn wieder
nach Europa zurückverlegen würden.
Thomas Kirby hat in seinem Leben Kunst*
auktionen abgehalten, in denen der Umsatz einen
Total wert von 55 Millionen Dollars erreichte,
man kann daher wohl annehmen, daß er in Bezug
auf das kaufende Publikum Erfahrungen ge*
sammelt hat. Es ist ihm natürlich nicht ent*
gangen, daß die Qualität des kaufenden Publi*
kums sich während des Krieges — dank der
Kriegsgewinnlerei — stark verändert hat, wie
das ja auch in europäischen Ländern ein ins Auge
springender Punkt ist. Heute aber scheint der
Markt schon wieder mehr in den Händen der
ehemaligen Käufer zu liegen, die während des
Krieges jenen Teil ihres Einkommens, den sie
in Kunstwerken anzulegen pflegten, nationalen
Zwecken geopfert haben. Unmittelbar nach
Kriegsausbruch griff auch in New *york eine
kolossale Preistreiberei um sich. Kirby ist der
Meinung, daß die momentane industrielle De*
pression wenig oder gar keinen Einfluß auf den
Kunstmarkt hat.
Hauptsächlich wird Wallstreet davon betroffen,
doch die Bankiers von Wallstreet haben nie zu
den ständigen und bestzahlenden Käufern ge*
hört, sie sind mehr unter die Emporkömmlinge
zu zählen und kaufen größtenteils aus Spekula*
tionstrieb. Der gute Käufer läßt sich in New*
York in der Regel gründlichst instruieren und
kauft erst nach reiflichem Wiegen und Wägen.
Kirby behauptet, daß der Amerikaner des
Westens weit weniger spekulativ veranlagt ist,
als angenommen wird, und daß ein beliebiger
Käufer, der ein Bild aus Liebe zur Kunst erwirbt,
viel willkommener ist, als ein Kriegsgewinnler,
der ein Gemälde ersteht, um seinen Salon zu
tapezieren, oder irgendein Spekulant. Mögen
die letzteren auch im Augenblick mehr bieten,
so ziehen die ersteren mehr Freunde nach.
Auch für amerikanische Bilder scheint die Zeit
jetzt günstig zu sein und für sogenannte ameri*
kanisch*klassische Kunst werden bereits ansehn*
liehe Preise bezahlt. Ein Blakelock erzielte 20000,
ein Umophey 15000 und ein Inneß sogar 30000
Dollar. Laut Thomas Kirbys Aussage stehen
die Bilder amerikanischer Durchschnittsmaler,
was den Verkauf anbetrifft, nicht hinter denen
ausländischer Meister zurück, auch konstatiert
er einen Fortschritt in der modernen amerika*
nischen Malerei in ästhetischer Beziehung seit
dem Kriege. Für radikale Künstler scheint es
schwierig zu sein, in Amerika Absatz zu finden,
selbst auf ihrer eigenen Ausstellung war das
Ergebnis nicht lohnend.
Es liegt auf der Hand, daß das Sehen und
Kaufen von Kunstwerken einen erzieherischen
Einfluß auf das Publikum ausübt und daß folg*
lieh mit dem Steigen der Kunstproduktion in
Amerika auch die Zahl der Kunstliebhaber zu*
nimmt.
Das künstlerische und literarische Leben in
New^York.
Man schreibt uns am 22. Februar aus New-York:
Wir werden in diesem Winter durch einen
weit zahlreicheren Besuch ausländischer Künstler
beehrt als je zuvor. Möglich, daß diese Tatsache
mit dem Sinken des Pfund Sterling und anderer
europäischer Valuten im Zusammenhang steht.
England schickte uns den unübertrefflichen Gil*
bert K. Chesterton, den sympathischen Jour*
nalisten Sir Philip Gibbs, die schöne Bild*
hauerin Clara Sheridan, den Kritiker Wil*
liam Archer, während ein Besuch von Wells
und einigen anderen Leuchten noch zu erwarten