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von dynamischer Ausdruckskraft. Eine baltische Künstlerin
Edita Walterowna zur Muehlen zeigt sich als Zeichnerin
von visionärer Lebendigkeit. In ihren dekorativen stark
farbigen Bildern verspürt man ostasiatische Einflüsse.
Nach der Auflösung der zeichnerischen Grundlagen durch
den Impressionismus und der zerstörenden Gewaltherr»
schalt der Futuristen zeigen diese Künstler einen starken
Willen zur Formbildung und Erneuerung im neuartigen
primitiv-strengen Zusammenfügen der Bildfläche.
Willy Ganske. (Berliner Lokalanzeiger 8. IV. 21.)
Es stimmt hoffnungsvoll, daß es in allen Ländern die
jüngeren, vorwärtsweisenden Kräfte sind,, welche die Ma
schinerie des internationalen Kunstverkehrs langsam wieder
in Gang setzen. Draußen grollt noch immer das Gewitter,-
aber es scheint doch, daß sich in den höheren atmosphä
rischen Schichten allmählich eine reinere europäische Luft
bildet. Endlich können wir nun auch einen immer voll
ständigeren Überblick über die Ausdrucksformen gewinnen,
in denen bei den verschiedenen Nationen die Ideen und
Vorstellungen der modernen Entwicklung Gestalt ange
nommen haben.
Der Weg, den die Italiener dabei gingen, führt von der
wildesten Formzertrümmerung zu strengem Neuaufbau.
Der Futurismus hatte die Wirrheit und Zerrissenheit der
Zivilisationswelt dadurch überwinden wollen, daß er sie
selbst schmerzvoll hinausschrie. Was er an Prophetie ge
leistet hat, indem er Krieg, Gewaltherrschaft und Umsturz
aus dumpfem Gefühl weissagte, wird ihm unvergessen
bleiben. Aber die Formlosigkeit und Verschwommenheit
seiner Mittel mußte ihn in eine Sackgasse bringen, aus der
kein Weg weiter führte. Nun hat der Rückschlag eingesetzt.
Es ist, als wenn die alte formbildende Kraft des antiken
Bodens wieder frisch und zeugungsfähig geworden wäre.
Alles, was diese Künstler treiben, die sich um die in Rom
erscheinende Zeitschrift »Valori plastici« gruppieren, ist
auf ein neues Zusammenfassen, auf ein sorgsames Fügen
von Linien und Flächen, von zeichnerischen und malerischen
Elementen gestellt.
Das italienische Wort »plastico« hat eine andere Be
deutung als unser »plastisch«. Die Parole der Künstler
gruppe lautet »BildendeWerte« (nichtbildhauerische). Aber
»bildende« doch auch in dem Sinne, daß damit zugleich
eine strenge Bindung gemeint ist. Das merkwürdige und
Fesselnde dabei ist die Art, wie sich mit diesen formalen
Prinzipien nun der geistige Gehalt der neuen Kunstsehn
sucht, ihr Hang zur Ergründung der mystischen Zusammen
hänge hinter denErscheinungen verbindet. Doppelt fesselnd,
weil die wiedererwachte Freude an straffer, klarer und ein
facher Komposition die italienischen Maler unversehens
dazu brachte, zu ihrer Quattrocento-Kunst diplomatische
Beziehungen anzuknüpfen, ja noch weiter zurückzuschauen
und gelegentlich auch die sichere Ruhe der antiken Malerei
wieder zu beschwören.
Das Übergleiten in die neue Anschauung verkörpert
sinnfällig Carlo Carra, der aus dem Kreise der Futu
risten kommt. Kubistische Anregungen von Frankreich her
brachten ihn, wie seinen Kameraden Giorgi de Chirico,
dazu, Wirklichkeitseindrücke auf mathematische Grund
formeln zurückzuführen. Das ergab bei beiden einen oft
kühlen Schematismus. Bei Carra scheint es nur ein Durch
gangsstadium zu sein, das er in Landschaftsbildern von stiller
Übersichtlichkeit der Ordnung und einer seltsam magischen
Farbe schon wieder überwunden hat. Chirico nahm davon
seinen Weg zu geheimnisvollen konstruktiven Deutungen
von Figuren und Gruppen, die mit den ingenieurhaften
Träumereien von Archipenko verwandt sind, aber durch
eine schwere, satte Farbe einen persönlichen Klang erhalten.
Man darf solche maschinellen Auflösungen menschlicher
Gestalten, wie etwa bei dem Bilde mit der gewiß ver
blüffenden Unterschrift »Hektor und Andromache«, nicht
nach ihrem thematisch-literarischen Inhalt fragen: sie wollen
nur ein Mit- und Gegeneinander von Linien und Farben,
von Werten und Klängen geben. Das große Gemälde des
»Verlorenen Sohnes« zeigt dann, wie eben die Gruppe des
Hektorbildes nun gleichsam eine Wirklichkeitshaut über
geworfen hat. Hier ist Chirico ganz nach der Frührenais
sance orientiert. Freier und eindrucksvoller folgt er den
alten Meistern in der Darstellung des lehrenden Merkur,
wo Helligkeiten und farbige Flächen mit ungewöhnlichem
Geschmack verteilt sind.
Eine wertvolle Bekanntschaft ist Georgi Morandi. Seine
Stilleben zumal, die die Synthese des Cezanne mit dem
vereinfachenden Gerüst der modern-italienischen Kompo
sitionsart verschmelzen, sind von außerordentlicher Zart
heit und Delikatesse der mit höchst kultiviertem Feingefühl
gestuften und gegeneinander abgewogenen Farbwerte. Es
ist kostbar, wie er ganz leise rosa und graue Töne auf
einander zu stimmen weiß, wie er ein Bild ganz Ton in
Ton entwirft. Stärker in die Farbe geht Francalancia,
dessen Gebirgsbild reichen Klang ausströmt, und dessen
heller Morgenblick über Assissi ungemein anmutig wirkt —•
nun allerdings schon fast in der Art des frühen 19. Jahr
hunderts. Der Bildhauer der Gruppe ist Martini, der mit
einigen Gipsabgüssen von Werken sehr inniger Empfin
dung vertreten ist. Man denkt mitunter an Barlach, aber
es ist natürlich nur eine Zeitverwandtschaft. Schließlich
hat sich den Italienern eine in Rom angesiedelte Baltin,
Fräulein von zur Mühlen angeschlossen, die eine Reihe
sehr feiner Zeichnungen und farbig belebter Bilder aus
stellt — Werke, in denen sich ein von Japan befruchtetes
Sehen mit einer beschwingten musikalischen Rhytmik eigen
artig verbindet.
Max Osborn. (Vossische Zeitung 7. IV. 21.)
Auch in Italien wird die jungeKünstlerschaft noch immer
von Gruppentendenzen getrieben,- es herrscht auch dort
ein sehr buntes Durcheinander: Kubismus, Futurismus,
durchkreuzt von expressionistischen, naturalistischen und
primitiven Strömungen. Selbst der Wille zum reinen,
klassischen Stil bricht sich Bahn. Die Künstlergruppe, die
jetzt im Kronprinzenpalais Obdach gefunden, schart sich
um die Zeitschrift »Valori Plastici«, nach der sie sich auch
benannt hat. Diese Künstler haben, im Gegensatz zu den