aus einem Gedichte der anakreontischen Zeit zu er*
innern:
»Bei Tag, und sonderlich bei Nacht,
Nur an nichts Reizendes gedacht!«
Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,
Den jeder Reiz bis zum Entzücken reißt!
Des Bouchers Mädchen nimmt er mir
Aus meiner Stube, hängt dafür
Mir eine abgelebte Frau,
Mit riesigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,
Vom fleißig kalten Gerhard Dow
An meine Wand,- langweilige Tisane
Setzt er mir statt des Weins dazu.
Goethe an Friderike Oeser
Frankfurt, den 6. Nov. 1768.
<Ausgabe Cotta Bd. 3, S. 57.)
MAPPENWERKE
Der Sieg der Farbe
Die entscheidende Zeit unserer Malerei in
40 farbigen Lichtdrucken. Herausgegeben
von Adolf Behne. Photographische Gesell*
schaff, Charlottenburg.
Uns vom Epheu einer hypertrophischen
Kunstliteratur halberstickten entringt es sich
schmerzlich: Genug der Worte und Anschau*
ungssurrogate. Aber gerade in dieser despa*
raten Stimmung sind wir besonders empfänglich
für eine Tat — setzen wir gleich: Wohltat —
wie sie von dem Mappen werk »Der Sieg der
Farbe« unternommen wird. Das sind keine
entbluteten Reproduktionsgespenster, sondern
getreue Spiegelbilder lebendiger Kunst: Die
Technik, hier nicht Verfälscherin, sondern liebe*
volle Dienerin der Kunst.
Fünf Blätter liegen bis jetzt vor: ein Nolde,
ein van Gogh, ein Feininger, ein Morgner und
ein Henri Rousseau. Es wird wohl den meisten
so gehen wie mir, daß sie die zarte Lyrik der
»Zollstation« Rousseaus am tiefsten rührt, und
der »Zuave Molliet« van Goghs am stärksten
hinreißt, wie sehr auch die »Schwärmer« Noldes
packen und die noble Malerei der Komposition
Feiningers entzücken mögen.
Die Leistung, die heute schon vorliegt, läßt
uns die baldige Verwirklichung des Ganzen
dringend wünschen,* um so mehr als das Pro*
gramm des Werkes eine Auswahl unter den
führenden Künstlerpersönlichkeiten des 19. und
20. Jahrhunderts gewährleistet, wie sie nicht
besser hätte getroffen werden können.
d. n.
Karl Jakob Hirsch: Mahlermappe
<Adolf Harms Verlag, Hamburg)
Kein literarischer Versuch. Keinerlei gegen*
ständliche Hermeneutik. Reine absolute Malerei.
Man muß die große, ganz kosmisch anmutende
Geste bewundern, mit der hier derLebensrhyth*
mus von Gustav Mahlers Musik in lineare
Rhythmen transformiert wurde. Der Versuch
Musik zu malen ist durchaus nicht neu. Aber
es wäre falsch dieses Werk in irgendeinen Zu*
sammenhang mitKlingersBrahmsphantasien oder
selbst mit Kokoschkas Bachmappe zu bringen.
Hirschs Blätter durchglüht eine Ekstase, die,
selbst wenn man technische Bizarrerien festzu*
stellen meint, sie rein als Erlebnis weit über
diese Werke stellt. Man hat den Eindruck
einer in die Unendlichkeit des Metaphysischen
geschleuderten Ausdrucksgewalt in eine Un*
endlichkeit, wo die Parallelen von Musik, Dich
tung und Malerei sich schneiden. Denn die Be*
Ziehung zu Mahlers Simphonien ist keineswegs
eine subjektive. Man wird nicht fehlgehen, wenn
man hinter Hirschs mittlerweile bis zu oft bru*
taler Eigenart gereiftem Stil französische Schu*
lung vermutet. Die <kubistische Einflüsse nur
noch ahnen lassende) höchst persönliche Kom*
Position zeigt eine Vollendung und Disziplin,
deren Seltenheit in der heutigen Kunst nach*
gerade bedenklich wurde. Hier ist tatsächlich
ein neuer Weg zu jener jungen Klassizität ge
funden, in deren Vollendung Busoni die Auf*
gäbe der kommenden Generation sieht. Allen
Verehrern Mahlers werden die Lithographien
als ein inbrünstiges Bekenntnis zu der Musik