Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Dada-Almanach. Nehmen Sie Dada ernst oder 
nicht, — es spielt nicht die geringste Rolle. Dada nimmt 
Sie ernst Das ist das Tragische. Der Bürger ist ver 
wirrt. Das Ich des Bürgers und geistige Rebellionen in 
seinem Götzenstaat waren ja schon immer die spaßhaftesten 
Kapitel in der Welt. In dieses Banalitätsgerümpel peitscht 
heute wiederum Dada ohne irgendein pathetisches Gänse 
füßchen. Schimpfen Sie, soviel Sie wollen,- Sie schaden der 
Affaire nämlich gar nicht, höchstens Ihrer Person, Ihrer 
Laufbahn, der Schiebung christlicher oder jüdischer Macher. 
Wer lacht, sich freut, platzt, den Profit einzieht: Dada. Der 
große Unbekannte, der bei Ullstein, Goethe oder Rathenau 
gleich gerne verkehrt. An allen Erdpolen, in allen Cafes, 
in allen Werkstätten, in der nobelsten Pressenotiz, in allen 
Laboratorien, in allen Appellen, in allen Reptil-Zentren, 
in jeder Zigarettenmarke lauert Dada. Andererseits hat 
diese ganze Bewegung nicht den schwächlichsten Ehrgeiz. 
Art nouveau <nach dem fixen, talentierten Tristan Tzara, 
der Schweizer Kritikern damals ihr »künstlerisches« Hand 
werk so unsagbar schwer machte) oder abstrakte Kunst. 
Doch das sind sehr alte Sachen, meint Richard Huelsenbeck. 
Dieser: Deutscher, Berliner, er geht weiter als die labilen 
Manifeste seines romanischen Kollegen, der immerhin in 
der rapiden Gleichzeitigkeit seiner kochenden Sensationen 
die schöne Geste wahren will. Für die Deutschen ist das 
»nur« Simultanität, seit Jahren von Italien her bekannt, 
und in nuce undadaistisch. Literatur, Kunst mit reichlicher 
Lichtreklame, lediglich bürgerliche Dinge, Flickwerk aus 
Hornbrille und feierlichen Gefühlen, eine Lehrbegabung 
für modern auffriesierte Idylle. Die deutschen Dadaisten, 
die den Wert <ohne Befähigungsnachweis) des Sinnlosen, des 
Zwecklosen, der pfuscherischen Korruption, die Müdigkeit 
und die kümmerlichen Abwehrreaktionen einer mystisch 
ekstatischen Kunst, von ein paar ehrlichen Kerlen Ex 
pressionismus genannt, theoretisch und praktisch tiefboh 
render erkannt haben, spotten auf das verrottete Halb 
dunkel der Romanen,- sie sind radikaler, revolutionärer, 
dabei unspekulativ wie einTelephonbuch und ein Aeroplan. 
Hinter dem Bluff der Kultur, eines zauberkünstlerischen 
Intellektualismus, der Reclambändchen, kirchlicher Exzesse, 
philosophischer Terminologie, Stoffwertung, Weltgefühl, 
ethischer Notbehelfe, Herzschwärmerei, hinter Dynastien, 
Menschenboykott, Bahnverkehr, Arbeiterräten, hinter dem 
menschlichen Verbesserungsstreben steht die absolut sach 
lich ernsthafte Skepsis des Dadaisten, der jedes Denksystem 
als müssig belanglose, private Impulsäußerung ansieht, der 
nur die praktische Hingabe an das Leben anerkennt und 
es ohne Programm im vollsten Umkreise zu genießen sucht. 
Des Dadaisten Philosophie, er wird sich natürlich sträuben 
von einer solchen zu reden, gipfelt in einem universalen 
Relativismus, in einem gelassenen ursprünglichen Nihi 
lismus. Er bietet in seiner dämonischen Ironie der Welt 
keine Angriffsflächen, wohl aber die eitle, logische, über 
empirische Welt ihm. Richard Huelsenbeck sagt in dem mit 
feiner Geistakrobatik zusammengestellten Dada-Almanach 
(Erich Reiß Verlag Berlin): »Dada ist kein Axiom, Dada 
ist ein Geisteszustand, der unabhängig von Schulen und 
Theorien ist, der die Persönlichkeit selbst angeht, ohne sie 
zu vergewaltigen. Die Frage: Was ist Dada? ist undada 
istisch und schülerhaft in demselben Sinne wie es die Frage 
vor einem Kunstwerk oder einem Phänomen des Lebens 
wäre.... Dadaist ist man, wenn man lebt. Lebensfrohe 
Realität, tänzerische Lebenstüchtigkeit prägt sich gleicher 
weise in den weiteren Artikeln des dadabunten Almanachs 
aus: bei Francis Picabia, Hans Arp (Künstler übrigens 
für deren Imperium andere starke Aufnahmefähigkeit ver 
rieten), Walter Mehring, Hans Baumann, Raoul Hausmann 
und anderen. Die Großmannssucht und schmutzige Phrase 
einer ganzen Weltepoche wird zu Grabe getragen, die 
mechanistische, atomistische, dynamische Wirklichkeit, ohne 
»schöpferisch erlebten« Durchbruch, ohne Widerstand und 
Hemmung wird in der Relativität aller Beziehungen und 
Konflikte als nackte, gegebene Manifestation selbstver 
ständlich hingenommen. Der Dadaismus ist bei alledem 
fabelhaft tolerant. Sie können weiter Fußball spielen, Sie 
können weiterhin Antiquitäten beschnüffeln oder buddhi 
stische Klöster errichten, Sie können nach wie vor jede Ex 
pansion pflegen,- denn Dada haßt den billigen Doktrina 
rismus jeder Form. — Nehmen Sie Dada ernst, bevor jeder 
Zeitungsschmock und jedes Stubenmädchen ihre humorvolle 
Bilanz daraus gezogen haben, dann ist die Sache schon 
längst vergessen, und aus der Verwesung heraus wird Sie 
der geniale Berliner Zeichner George Groß mißtönerisch 
belächeln. Ein kluger, tüchtiger Kopf Otto Flake schrieb 
ein seltsames Ideenbuch von enormer Geschwindigkeits 
zunahme »Ja und Nein«, Roman, ein Buch der Operationen, 
der Bindungen von Straffheit und Erregbarkeit. Ohne Dada 
nachzeichnend zu erläutern, wird von Dada in der histo 
rischen Physiognomie fortwährend erzählt. Ein ernsthaftes 
Werk der Desillusionierung Die Dadaisten be 
haupten, unsere Zeit sei dadareif. Man wird ihnen glauben. 
Rudolf Utzinger. 
Eingelaufene Bücher, die in späteren Heften des »Ararat« 
besprochen werden: 
E. v. Sydow: Die Kultur der Dekadenz. Sybillenverlag, 
Dresden 1921. 
Ernst Württenberger: Zeichnung, Holzschnitt und Illu 
stration. Benno Schwabe, Basel. 
A. Efross u. J.Tugendhold: DieKunst Marc Chagalls. 
Kiepenheuer, Potsdam 1921. 
F. M. Huebner: Die neue Malerei in Holland. Klink- 
hardt SD Biermann, Leipzig. 
Junge Kunst, Klinkhardt 'S) Biermann, Leipzig. 
5. Serie: Heinrich Campendonk, von G. Biermann,- 
Emmy R o e d e r, von A. Kuhn,- Oskar Moll, von 
H. Braune Krickau; Maria Uh den, von O. M. Graf,- 
George Grosz, von W.Wolfradt,- Marie Laurencin, 
von H. v. Wedderkop,- Max Unold, vonW.Hausen- 
stein,- Erich Waske, von J. Kirchner. 
Oskar Jespers: Bezette Stad. Siengaal, Amsterdam 1921. 
Marcello F a b r i: l'inconnu sur les villes, roman des 
foules modernes. Povolozky SD Co., Paris 1921. 
M. A. Aldanov: Sainte Helene, Petite ile (Traduit d. 
manuscrit russe parM. Hirschwald). PovolozkySDCo., 
Paris 1921.
	        
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