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In unserer einseitigen Weltanschauungskultur reizte
die brutale physische Schönheit des Exotismus, die
Robustheit und Exaktheit der Formen zum Genuß am
Kunstwerk, gleichgültig, ob wir die Motive, die kult*
liehen Projektionen jeweils erkannten. Die Diskontinui
tät ward zur neuen Lebensform, unsere hirnliche Sucht
nach Sonderformen bekam innersten Rückhalt. Die Wucht
der archaischen Ballungen, immer instinktiv echt, ob sie
im alten Mexico, in Joruba, in Java, im heutigen Paris
oder Rom sich in Bildgestalt entlädt, bleibt Ursprünge
liebstes Merkzeichen, Sinnbild im Auferstehungsgedanken
natürlich wirbelnder Kunsttat. Welcher äußeren Kultur
wir hierbei angegliedert sind, bleibt völlig belanglos.
Wer in der Eingeborenenkunst eine gewisse Monotonie
zu sehen glaubt, wird erstaunt sein, in diesen geschlos
senen Werken voller Distanzgefühl und sicherer Raum*
gebung, in dieser farbigen Ornamentik <die sich wohl ge
merkt nicht immer aus des Technik, aus Weben und
Flechten ableiten läßt), in der figurenreichen Rundplastik
recht bewegte Szenen und lebhafte Akzente anzutreffen,
er wird offen bewundern müssen, mit wie relativ einfachen
Mitteln frappant der tropisch nervöse, vegetative und
animalische Inhalt zur aktiven achtunggebietenden Seins-
Gesinnung gebracht wird, und wie ungemein modula*
tionsfähig auf der engen, stark begrenzten Raumaus
dehnung heterogenster Urkulturen die Verfertiger das
Werk der Gottheit oder profanen Verzierung eindeutig
zu bannen wußten. Was uns Fortgeschrittenen als ein
Gelübde an die Abstraktion dünken mag, ist hier absolut
naturalistische Vitalität, gewissermaßen eine unerhört
körperliche Verdichtung von organisch-geschichtlicher Tra*
dition und seelischer Schärfe, das Schauen einer eigene
tümlich präzisierten Vorstellung. Die Heraufbeschwörung der Exotik wurde für uns zum
künstlerischen Umschlag, zur Aufdeckung suggestiver Wünsche, zum Leitmotiv einer neuen
inneren Physiognomik, zum Protest gegen die Korrektur einer malerischen Impotenz. Eine
panische Synthese erschütternder Erregungswellen aus Sexualität und imperialer Geister
mystik wölbt mit rassiger Kraftfülle die Legenden des roten und schwarzen Mannes in
Holz, Stein und in Märchen. Die verzerrte Gestalt eines exotischen Künstlers durch literarische
Geheimlehren interpretieren zu wollen, beweist nur den Unverstand der europäischen Seele, jede
Emotion in der künstlerischen Erhöhung und Unterwerfung in ihre unoriginale, empirische Ortho
doxie zu pressen. Das Geschlagenwerden von dieser männlich neuen Formenzone erlebte Gauguin
naiv, Palau wurde dann zu einer bilderstürmerischen Bußfertigkeitsangelegenheit erhoben, heute,
wo ein Liebes werben um die Schätze unserer Völkerkundemuseen einsetzt und aus allen mög*
liehen Zwischenschichten Exoten*Apostel erstehen, ist im Grunde unser Verhältnis zu den primi*
tiven Kunsterzeugnissen dennoch gänzlich ungeklärt. Eines wird mit größerer Intensität bemerkbar:
unsere tiefsten Bewußtseinsschichten, seit Generationen hindurch durch eine bestimmte logische
Bahn im Wirkungsbereich zurückgeschraubt, stimmen in der instinktiven Orientierung mit der
Neu»Mecklenburg. HolzgesdinitzteUli»
Figuren. 1 /u nat. Gr. Museum für Völker»
künde, München. Vergl. Münchner Jahrb.
d. bild. Kunst 1913, p. 332 ff.