Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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eliminieren läßt. Der Nachweis des Kulturstandpunktes wäre hei jedem einzelnen Künstler zu 
erbringen. Der Ideengehalt klingt überzeugend mit der malerischen Klärung zusammen. Die 
stärkste Gruppierung des Gedanklichen findet man bei Albert Mueller, der seine Bildmittel bei 
ausgesprochener antinaturalistischer Tendenz, in eine neue verklärte Welt hineinzwingt. Ein 
Garten der Seele entsteigt seinen Kompositionen, die von der Humanität des Geschehens voll 
sind. Eine losere aufgelöstere malerische Organisation bei Gottfried Graf, Hier kulminiert der 
Ausdruckswert der wundervollsten Hauch^Farbe, die selbst zu seelisch Geformtem wird. Eine 
stolze Gehaltenheit übertönt die Bilder von Hans Spiegel. Reife Schöpfungen des Schlicht^ 
Menschlichen von melodisch gehobener Atmosphäre umspielt. Verklingende Musik leitet in die 
farbig fließende Reflexion E. D. Kinzingers hinüber. Die Kulturseele der Jetztzeit weit geöffnet, 
mit all ihren Stimmungen, Spannungen, ein ungemein sensibles Organ auf Eindrücke und genetische 
Zusammenhänge zu reagieren. Ein Abstraktionist, der die Mystik reiner Form reizsam beherrscht 
und sie subjektiv neu belebt. Die dynamischen Kräfte spielen, divergieren in Willi Baumeister, 
bald ein Anektodenmaler mit abstraktem Vorzeichen, der den Lebenskatechismus eine neue 
Wertigkeit hinzudichtet und das Erlebnismaterial in die konstruktive Seite abrückt. Denkerisch 
Oskar Schlemmer: einstmals von Cezanne kommend, dann entscheidend von Zürich erschüttert, 
heute vom materiaLnaturalistischen Primitivismus hypnotisiert, gibt seiner Stellung eine harte 
Klarheit. Ob negativ oder positiv kann heute noch nicht entschieden werden. Die Einfühlung in die 
Strenge einer elementaren, gesteigert individuellen Zone ist stark, allein Schlemmers Grundthema 
vertraut auch anderen Instinkten,- künstlerische Zustände sind immer antimonistisch orientiert. Bis 
weilen spricht die Verlassenheit des Künstlers daraus, die Massivität seiner Gesinnung oder 
Symptombefreiungen einer psychischen Entblößung. 
Den geistig artistischen Überlegenheitswillen vermittelte auch die schon erwähnte Herbstschau 
Neuer Kunst, trotz der reaktionären Kunstchauvinisten im Bürgertum und einer umdüsterten 
Akademie, man verspürte, daß die Künstler der Üecht^Gruppe das idyllische Stadium überwunden 
und sich zu entschlossenen Existenzen künstlerischer Gestaltung emporgerungen haben. Spiegel 
hat die äußere Mathematik des kubistischen Territoriums aufgegeben, um einer paradiesisch er^ 
lebten Farbenmodulation zu weichen. Seine Aquarelle von rätselhafter Schönheit, mit allen ner 
vösen weichen Zuckungen durchbrochen. Graf ist in der auffliegenden Farbe freier, sinnlichkeits 
entrückter denn je,- seine hochgelegene technische Sicherheit wird man auch außerhalb Schwabens 
schätzen müssen. Erdsuchertum und Gottsuchertum in Kosmoromantik erdacht, vollendet Mueller 
sinnreich. Kinzinger (heute in München lebend) spendet in seinem Farbenfächer den bunten 
schönen Glauben an die Erde. Diese seine Kunst, die Kleinere mechanisieren würden, biegt er in 
verwegenste Abenteuerlichkeit ab. Das vielhaftige Pendelschwingen der Maler der Qecht^Gruppe 
verdiente einmal in einem anderen Kunstzentrum vor breiterem Forum gestellt zu werden. In 
einer kurzen Zeitspanne hat sich diese Malergesellschaft auf ein Malniveau wertvollster Gestalt 
werdung erhoben, es ist ein Sieg des jüngsten Wollens, das von bekannten Irrwegen frei ge 
blieben ist. 
In einem Verhältnis zur neuen Kunst stehen: Eberhardt, ein Durchschnittsexpressionist von 
Tapeten Wirkung, Ida Kerkovius zieht sich mehr von den Normen zurück und hat einen gewissen 
Enthusiasmus der Farbe in sich. Gertrud Stemmlers Formpathos spricht lautere Wahrheit. Die 
sympathische Bildarchitektonik Richard Siebers führe ich noch an. — Stuttgarts neue Kunst steht 
nicht an einer pessimistischen Endphase, wie das primitiv kokette Logik anderswo feststellen will,, 
daß die Akademie damals die Berufung Paul Klees ablehnte, war professorale Selbstvernichtung. 
Die Bildschöpfer erfassen leidenschaftlich die Totalität (wie Graf, Mueller, Spiegel) oder sie sind 
als Problematiker um die Erweiterung letzter Einsichten bemüht (wie Baumeister, Kinzinger, 
Schlemmer). Rudolf Utzinger,
	        
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