233
angesehen, weder die Melodik, noch die Harmonik, noch die Instrumentation,- alles muß inner
lich neu durchlebt, neu erschaffen werden. »
So langeFranz Schreker in Wien lebte, kamaucher als Mittelpunkt eines Kreises in Betracht.
Mit dem »Feinen Klang« hatte er seine Persönlichkeit gezeigt, gewissermaßen hier schon alle
Probleme dichterischer und musikalischer Natur aufgedeckt, die in seinen späteren Werken mehr
ausgebildet, oder variierend gebracht werden. Er geht von der Farbe aus, Schönberg von der
Linie. Er ist am stärksten dort, wo es gilt, chaotische Visionen festzuhalten, ein unbestimmtes,
traumhaftes Flirren und Klingen.
Angefeindet im Anfang, dann zum Professor an der »Akademie für Musik« ernannt, war er
für seine Schüler ein anregender Lehrer und bildete eine Reihe vielversprechender Talente aus:
Heinrich Knöll, Walter Gmeindt, Josef Rosenstock, der mit einem Klavierkonzert
debütierte, Felix Petyrek und Alois Häba,- die beiden letzten scheinen die stärkste Ent
wicklungsmöglichkeit zu haben. Petyrek hat ganz eigenartige Klavierstücke geschrieben, Häba ein
Streichquartett in Vierteltönen, das eine ausgezeichnete Faktur hat.
Erich W. Korngold ist durch seine Opern so bekannt, daß hier ein näheres Eingehen er
übrigt,- ebenso Julius Bittner, der die eigentliche österreichische Note hat. Das sind aber nur,
aus einer Fülle von Erscheinungen, einige wenige Persönlichkeiten herausgegriffen, je nachdem
sie selbst, oder ihre Tendenz für die neue Bewegung bedeutsam sind. Sie alle sind starke
Melodiker. Das ist ja auch das Faszinierende der Erscheinung Schönbergs, daß er, je mehr man
in sein Werk eindringt, als Erfinder neuer, kühn geschwungener Melodien Bedeutung gewinnt.
Er versteht es, jede Art der Wiederholung zu vermeiden, immer verschiedene Melodien, die an
sich abgeschlossen sind, gleichsam alle Konsequenzen in sich tragen, aneinander zu fügen. Ich
habe in meinem Buch über Schönberg darauf hingewiesen, daß diese Technik des Aneinander
reihens kontrastierender Melodien ein Zurückgreifen auf die sinfonische Technik Mozarts bedeutet,
die während des neunzehnten Jahrhunderts von der Beethovenschen abgelöst werde. So erklärt
sich das Befremdende der Werke der letzten Periode Schönbergs, da der Zuhörer vor ungewohnten
harmonischen und melodischen Problemen steht. Und darin liegt auch das Bedeutsame seiner
Person und des Kreises seiner Anhänger. Während Strawinsky oder Lord Berners, Satie oder
Milhaud Prokovieff oder Bartök hauptsächlich im Harmonischen problematisch sind, im For
malen besser gesagt, im architektonischen Aufbau — einfach und fast asketisch klar, im Melo =
di sehen mit starken Anlehnungen an das Volkslied, ist in der neuen Bewegung in Wien eine
neue Vorwärtsbewegung auf allen Linien zu konstatieren, eine Beherrschung des rein Technischen,
die ganz verblüffend ist. Daher die starke Wirkung, die von Schönberg auf die junge Generation
Englands, Frankreichs und Amerikas ausgeht. Einem Kunstwerk wie der »Passacaglia« und
dem »Mondfleck« im »Pierrot lunaire« hat die gesamte heutige Produktion nichts Gleichwertiges
zur Seite zu stellen. Und das Geheimnis dieser Kunstübung pflanzt sich in der jüngeren Gene
ration fort, erzeugt ein hohes allgemeines Niveau, von dem aus erst die selbständige produktive
Tätigkeit gerechnet wird, so daß auch die Leistungen der heranwachsenden Generation aller Auf
merksamkeit wert sind. Egon Wellesz.
GESPRÄCH ÜBER DIE DICHTUNG ÖSTERREICHS.
A: Wenn Sie also die österreichische Dichtung inmitten der allgemeinen deutschen nur als eine
provinziale Angelegenheit erkennen und ihr noch weniger Bedeutung als dieser für die Universalität
zuschreiben wie erklären Sie ihren prominenten Einfluß,- wie ihre starke Gelesenheit?
B: Mit dem Verfall der Dichtung an sich.
A: Entschuldigen Sie, daß ich Sie sofort unterbreche. Die Prämisse muß richtig sein, bevor die;
Folgerung beweisen kann. Aber der Verfall der Dichtung als Tatsache?