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der Olympier zu den Müttern hinab, — hundert Jahre später werden die Genitalien zu Musen.
Der Wiener ist obenauf. Die Sinne dichten. Der Geist ist entflohn. — Und die Jüngsten?
B: Epigonen —- oder: Fremde in der Heimat.
A: Und Ihre Hoffnung?
B: Daß die österreichische Literatur bald wieder aufhöre, Geltung dort zu besitzen, wo immerhin
Hölderlin nicht aus Zufall, sondern aus Volksgrund aufstieg.
Der sanfte Innocenz.
BEI UNS ZU- HAUSE.
Oft habe ich Heimweh nach dieser Stadt. Doch nicht in meinem Herzen sitzt dieses Heimweh,
sondern in meinem Munde, in meinem Sprachvermögen, das plötzlich da als Unvermögen schmerzt
und über Wortzahnreihe ein unartikuliertes Seufzen schickt.
Ein nicht in Dienst und Uniform der Sprache gepreßtes Gefühl, das ein enthobenes Dasein
führt zwischen den Zeilen, macht da plötzlich von sich reden, ohne sich verständlich zu machen,
und entzieht sich rasch herbeigeholtem Mikroskop der Feder wie Musik auch, deren Erkenntnis
inhalt ich hätte feststellen wollen.
Ja, Heimweh ist Musik zu einem Vorwurf. Wie die Musik selbst, nur Musik zu einer schöpfe
rischen Anstrengung zu sein scheint.
Nichts nützte mir, leiblich in meine Vaterstadt zurückzukehren, nichts hat es mir genützt. Ja, ihr
ferne lebend, nahm das Heimweh ab wie die Angst entdeckt zu werden abnimmt mit verjähren
dem Verbrechen. Leichter wurde dieser musikalische Druck gegen einen deflatorischen Kopf,- ich
athmete freier auf in einer falschen Freiheit —' der Bürger irgendeines Staates hätte glücklich
sein können. Jedoch, mit zunehmender Entfernung von meiner Schuld trat ich immer tiefer in den
Kreis weit leichterer Aufgaben. Einmal abgewandt, auch mit dem inneren Entschlüsse: »der Teufel
möge es holen!«, dem Stadtbilde, das durch den Vorhang meiner Wiege schimmerte, konnte
ich durch alle, auch durch die gelungenen Anstrengungen, eines andern Objektes Herr zu werden,
moralisch keinen Sieg mehr erringen. Einmal der Gott- und Naturbegebenheit meines Objektes
entronnen, ohne Not wie Verbannung oder Krankheit, war jede andere Objektsetzung gleich
gültig dem Himmel, der dem Heros nur zusieht auf seinem Grunde und Boden und auf fremden
nur, wenn er dort des Vaterlandes engen und engsten Begriff definiert. Der Gottheit, dem ersten
und letzten Zuschauer der Tragödie, bin ich für ewig aus dem Blicke, wenn ich unter Persern lebe
ohne Athen im Epigramm bei mir zu tragen.
Was nützt, daß Dieser oder Jener einen Ton hat und trifft, der einen Duft erinnert, den ein
Gefühl erregt, das man unter uns hat? Ton, Duft, Gefühl: steht da nicht immer nur ein Teil fürs
Ganze, Musik für Definition? Was sind Töne, Düfte, Farben eines Landes, tönende, duftende,
farbige Empfindungen eines Bewohners dieses Landes gegen ein einziges Convenu dieses Landes?
Oder ist meine Heimat vielleicht ein Land ohne Convenu ? Ach, dann wären alle Bürger dort nur
Lyriker, und Niemand schlüge in solcher Art das Kreuz, begrübe in solcher Art sein Weib, redete
in solcher Art zu Vater und Kinder und ginge in solcher Art seinem Gewerbe nach.
Ich habe mein Heimweh erkannt als Zug und Sehnsucht nach einer, sowohl von den Vorgängern
wie auch von mir unvollendet gelassenen Aufgabe. Schuldbewußtsein läßt den Künstler den Ort
seiner Nicht^Tat aufsuchen, Verlangen nach Buße gebietet ihm, das Auge auszusetzen den Reizen
der nichtgestalteten Dinge.
Mutter, Vater, Kinder, Dorf oder Stadt, wo immer des Geburtsgestirnes Strahl mich traf:
näher noch als meinem Herzen müssen sie meinem Kopfe stehn. Die Pflicht, ihr Bild zu besorgen,