Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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<Moholy»Nagy>. Und sie war seit jeher viel zu voll* 
blütig, um die Schranken einer blassen Wirklichkeits» 
darstellung nicht auch im reinen Landschaftsbild aus* 
drucksvoll komponierend durchzubrechen <Szönyi>. 
Ludwig Tihanyi. Von Ernst Källai 
Tihanyi ist der führende Künstler jener ungarischen 
Bewegung, die vor mehr als zehn Jahren vom Im* 
pressionismus abschwenkend synthetischen Form* 
Problemen nach ging und das Wesen der Natur ge* 
stalten wollte. Anregungen wurden bei Cezanne und 
Matisse geholt, doch krankte der ganze Versuch an 
einem völligen Mißverstehen der beiden Franzosen. 
Einzig Tihanyi war es, dessen Kunst sich als logische 
und persönlich eigenartige Weiterführung der Ce* 
zanneschen Form erwiesen hat. 
Die geschlossene Baugesetzlichkeit Cezannes ist 
bei Tihanyi bis an die Grenze des Kubismus ent* 
wickelt. Bis zu einem Punkte, wo organisches Lebens* 
gefühl und logisches Konstruieren sich noch im Gleich* 
gewichte halten. Weiter zu gehen, wurde der Künstler 
durch die warme und sinnliche Vitalität der unga* 
rischen Erde und ihrer Menschen verhindert, die sich 
schwer in die Fesseln einer intellektuell errichteten 
willkürlichen Ordnung schlagen läßt. Anderseits war 
es eben die vollsäftige, plastische Naturkraft des 
Formgefühls, die festen Grund und Boden und ein 
stämmiges Gerüst erforderte, um sich aufrichten zu 
können. 
Tihanyi ist dem Prinzip der Naturwesenheit bis 
auf heute treu geblieben. Die visionäre Ausdrucks* 
kraft seiner Kunst zeigt, daß diese Beschränkung nicht 
eine Unzulänglichkeit an geistigerVerinnerlichung be* 
deutet. Die strenge Baugesetzlichkeit, die Tihanyi in 
seinen Bildern walten läßt, wird der Natur aus einer 
Tiefe des menschlichen Bewußtseins vorgeschrieben, 
wo die bloß feststellende Sinnesanpassung an Ober* 
flächenreize längst jede Geltung verloren hat. Raum 
und Form werden nicht mehr als zufälliges und bloß 
durch die Willkür einer subjektiv optischen und rela* 
tiven Perspektive geordnetes Aneinandergereihtsein 
hingenommen, sondern aus ihren Konstellationen in 
der Natur mit gründlichem Wählen, Ordnen und 
Verändern herausgearbeitet und dem zentralen Bild* 
gedanken des in sich geschlossenen Werkes unter* 
ordnet. Sie werden aus der Lage, Gestalt und Be* 
wegung nach kontrastierenden, sich schneidenden und 
durchdringenden, gegenseitig angestemmten Flächen 
und Linien als restlos determinierte Einheit kon* 
struiert. Zwar ergeben sich die Zeichen der Tiefen* 
ausdehnung noch aus Gegensätzen und Abstufungen 
von Hell und Dunkel, doch auch diese Werte sind, 
den luftgetränkten Licht* und Schattenverschleierungen 
des Impressionismus entkleidet, zu einem auf sich 
selbst beruhenden System kräftiger Lokaltöne stabi* 
lisiert. Die Farbe schwingt und weht demnach auch 
nicht in expressionistischer Entfesseltheit. Sie ist 
vollkommen den Gestaltungsnotwendigkeiten der 
primären, mehrdimensionalen Raum» und Körper* 
haftigkeit und darin den Gleichgewichtsanforderungen 
zwischen tragenden und lastenden Teilen unterworfen. 
Trotzdem leuchten die meisten Bilder des Künstlers 
in den stärksten Gegensätzen von Blau und Gelb, 
Rot und Grün, die aber in einer reichen und fein ab» 
setzenden Skala von warmen, kräftigen Mischtönen 
aufgehoben werden. 
Tihanyis Kompositionen sind auf das Vorherrschen 
der wagrechten und senkrechten Tendenzen gestellt. 
Aber diese feste Verankerung und das selbstsichere 
Emporbauen seiner Bilder erkämpfen sich immer aus 
einem Netz vielfach gekreuzter Diagonalen. Daher 
die Mannigfaltigkeit seiner Modellierungswerte und 
der Reichtum seiner Dynamik, die aber im Gegen» 
satz zu den meisten jungungarischen Künstlern sich 
niemals im leicht dekorativ ausartenden Bogenschwung 
ergeht. In echigen und gekrümmten Bahnen, Locke» 
rungen und Achsenverschiebungen zuckt und gleitet 
die Bewegung hastig kreuz und quer, fortwährend 
über Stockungen, Brechungen und Fragmente hin» 
wegsetzend. 
Die Dynamik des Künstlers und seine ganze Form 
überhaupt, haben ihre größte Bedeutung bisher ent» 
schieden im Porträt erreicht, mit einer Charakter» 
gestaltung, die sich tief in den Kern der Persönlichkeit 
hineinbohrt. Tihanyis Menschen sind Repräsentanten 
unserer modernen Geistigkeit, die ihre Synthese aus 
einer zersetzten und chaotischen Dämonie zusammen» 
raffen muß. Diese stark negativen Momente unserer 
Zeit sind es, welche den geistreich problematischen 
und nervösen Zug der Form des Künstlers nicht nur 
aus innerer, subjektiver Notwendigkeit, sondern auch 
objektiv motiviert erscheinen lassen und ihren visi» 
onären Gehalt zur großen Wahrheit erheben. 
Aus der ungestörten Korrespondierung vollkommen 
gleichlautender, naturhaft sachlichen und menschlich 
subjektiven Gestaltungsfaktoren ergibt sich die ganz 
besonders hervorgehobene magyarische Prägung 
solcher Landschaften wie die z. B. mit der baufälligen 
Hütte rechts im Vordergründe und dem sich trotzig» 
nachlässig emporsteilenden Berg. Die Einheit von 
Pathos, herrischem Selbstbewußtsein und ödem Sich» 
gehenlassen ist ein tief magyarischer Wesenszug.
	        
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