260
Ganz abgesehen davon, daß diese Landschaft auch
rein naturbeschreibend ein wahres Meisterstück an
Lokalkolorit und Formung darstellt.
Vielleicht ist es auch eine Folge der Objektivität
Tihanyis, daß seine Landschaften nie so weit im De*
komponieren der Natur und Konstruieren des Bildes
gehen wie seine Bildnisse. Ihre einfachere Form
läßt sich aus dem größeren Entgegenkommen erklären,
das der Wille des Künstlers zum Aufbau in den
tektonischen Gegebenheiten der Natur findet. Daher
die ganz wunderbare Ausgeglichenheit und Ruhe der
Landschaft z. B. mit dem Wasser. Im Hintergründe
ist die Spitze eines kegelförmigen Berges sichtbar, ein
LieblingsmotivTihanyis. Immer wieder malt er diese
regelmäßigen vulkanischen Kuppen, wie sie dasViel*
förmige und =farbige der Landschaft zu ihren Füßen
im gelassenen Aufstieg zur Einheit und Bekrönung
emporleiten und ausklingen lassen. Ihre glatten Ab
hänge sind, als Ausgleich zwischen breit Horizon*
talem und vertikal Türmenden symbolisch für den
Geist in Tihanyis Kunst, der sich jeder Unendlichkeits
stürmerei enthaltend, seine Irrationalität im Vertiefen
und struktiven Erfassen des Endlichen durchsetzt.
HOLLAND
Vincent van Gogh in Arles
Des Malers Vincent van Goghs Leben ist voll*
kommen durchsichtig. Es gibt in dieser Künstler*
Laufbahn keine Rätsel nur Notwendigkeiten. So
viele Darstellungen seines Martyriums jetzt und in
der Zukunft werden geschrieben werden, sie haben
keinen Schleier zu lüften, keine neue Deutungsweise
hinzu zu fügen. Über die drei Bände Briefe hinaus,
welche der Maler selbst abfaßte, bleibt nichts Zusagen.
Steht derart der geistige Lebensbericht des Künst*
lers unverrückbar, so halten sich für die Nachwelt
vielerlei äußerliche Geschehnisse noch verhüllt und
harren der Durchforschung. Schon spinnt sich üppig
um manch unerkanntes Vorkommnis Legende wie
Klatsch. Hinsichtlich des HolländersVincent van Gogh
Verhältnis zu dem Franzosen Paul Gauguin halten
sich merkwürdigerweise zwei Parteien aufrecht, ob*
wohl die Bilder, welche van Gogh vor der Zusammen*
kunft mit Paul Gauguin malte, eine vollkommen deut*
liehe Sprache sprechen. Von Unterjochung des einen
unter den anderen kann keine Rede sein,- zwei Sternen*
bahnen berührten sich für eine kurze Zeit und jede jagte
hernach allein weiter ins All. Die provenzalische
Stadt Arles aber wurde die Pilgerstätte Unzähliger,
die dem Geheimnis an Ort und Stelle nachzugehen
trachteten,dem äußerlichenGeheimnisse des vanGogh*
sehen Lebensablauf, seinem äußerlichen Tagewerke,
der äußerlichen Wechselbeziehung zwischen Vincent
van Gogh und Paul Gauguin, denn das innerliche
Drama dieses Künstlerdaseins, dies wie gesagt, steht
erwiesen und verbirgt nichts.
Anschauliches über van Goghs Aufenthalt in Arles
weiß neuerdings P. Borei im Mercure de France zu
erzählen. Er hat sich an van Goghs heute verstor*
bene Hausbesorgerin, die ihn den »Mann mit den
Wahnsinnsaugen« nannte und an andere Mitlebende
des Städtchens um Auskünfte gewendet,- was sie ihm
schilderten ist das Leben eines Einsamen, von der
Gesellschaft Gemiedenen. Man hielt ihn, da sich
keiner aus seinemTun etwas Vernünftiges zusammen*
reimen konnte, für einen gemeinen Spion und diese
Märe griff dermaßen um sich, daß eines Tags die
Polizei an die Tür klopfte und die Papiere des Malers
zu prüfen verlangte. Gauguin, der sich gerade im
Hause aufhielt, empfing die heilige Hermandad mit
einer Flut von Schimpfworten. Der Argwohn der
Bevölkerung gegen den Maler war desto unbegreif*
lieber, als Vincent van Gogh bei jeder Gelegenheit
Probe seiner Güte und Hilfsbereitschaft ablegte. Er
nahm eines Nachts einen Landstreicher bei sich auf,
weil in der Stadt ihm niemand Unterkunft gewähren
wollte,- er schenkte ihm sogar einen Teil seiner wahr*
lieh geringen Barschaft. Der Stromer entgalt des
Künstlers Gutherzigkeit damit, daß er in van Goghs
Abwesenheit aus der Wohnung stahl, was ihm ge*
fiel, und verschwand. Van Gogh war durch diese
Erfahrung in seinem apostolischen Fürsorgeeifer
keineswegs entmutigt,- er erstattete gegen den Dieb
nicht einmal Anzeige. Kurz darauf nahm er eine
Verzweifelte, die sich das Leben nehmen wollte, in
seinem Hause auf und rettete sie dadurch/ seither
nennt die Betreffende, die noch heute lebt, in ihrer
dankbaren Erinnerung den Künstler nur »den Gottes*
mann«. Oft unterstützte er mittellose Berufskame*
raden, indem er sich selber des Nötigsten beraubte.
Seine Malleidenschaft war die eines Besessenen.
»Es kam oft vor, daß er während schöner Sommer*
nächte sich an irgend einer anziehenden Straßenstelle
oder an den Flußmauern niederließ und hier Stunden
lang malte, mit der einen Hand den Pinsel, mit der