Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Ganz abgesehen davon, daß diese Landschaft auch 
rein naturbeschreibend ein wahres Meisterstück an 
Lokalkolorit und Formung darstellt. 
Vielleicht ist es auch eine Folge der Objektivität 
Tihanyis, daß seine Landschaften nie so weit im De* 
komponieren der Natur und Konstruieren des Bildes 
gehen wie seine Bildnisse. Ihre einfachere Form 
läßt sich aus dem größeren Entgegenkommen erklären, 
das der Wille des Künstlers zum Aufbau in den 
tektonischen Gegebenheiten der Natur findet. Daher 
die ganz wunderbare Ausgeglichenheit und Ruhe der 
Landschaft z. B. mit dem Wasser. Im Hintergründe 
ist die Spitze eines kegelförmigen Berges sichtbar, ein 
LieblingsmotivTihanyis. Immer wieder malt er diese 
regelmäßigen vulkanischen Kuppen, wie sie dasViel* 
förmige und =farbige der Landschaft zu ihren Füßen 
im gelassenen Aufstieg zur Einheit und Bekrönung 
emporleiten und ausklingen lassen. Ihre glatten Ab 
hänge sind, als Ausgleich zwischen breit Horizon* 
talem und vertikal Türmenden symbolisch für den 
Geist in Tihanyis Kunst, der sich jeder Unendlichkeits 
stürmerei enthaltend, seine Irrationalität im Vertiefen 
und struktiven Erfassen des Endlichen durchsetzt. 
HOLLAND 
Vincent van Gogh in Arles 
Des Malers Vincent van Goghs Leben ist voll* 
kommen durchsichtig. Es gibt in dieser Künstler* 
Laufbahn keine Rätsel nur Notwendigkeiten. So 
viele Darstellungen seines Martyriums jetzt und in 
der Zukunft werden geschrieben werden, sie haben 
keinen Schleier zu lüften, keine neue Deutungsweise 
hinzu zu fügen. Über die drei Bände Briefe hinaus, 
welche der Maler selbst abfaßte, bleibt nichts Zusagen. 
Steht derart der geistige Lebensbericht des Künst* 
lers unverrückbar, so halten sich für die Nachwelt 
vielerlei äußerliche Geschehnisse noch verhüllt und 
harren der Durchforschung. Schon spinnt sich üppig 
um manch unerkanntes Vorkommnis Legende wie 
Klatsch. Hinsichtlich des HolländersVincent van Gogh 
Verhältnis zu dem Franzosen Paul Gauguin halten 
sich merkwürdigerweise zwei Parteien aufrecht, ob* 
wohl die Bilder, welche van Gogh vor der Zusammen* 
kunft mit Paul Gauguin malte, eine vollkommen deut* 
liehe Sprache sprechen. Von Unterjochung des einen 
unter den anderen kann keine Rede sein,- zwei Sternen* 
bahnen berührten sich für eine kurze Zeit und jede jagte 
hernach allein weiter ins All. Die provenzalische 
Stadt Arles aber wurde die Pilgerstätte Unzähliger, 
die dem Geheimnis an Ort und Stelle nachzugehen 
trachteten,dem äußerlichenGeheimnisse des vanGogh* 
sehen Lebensablauf, seinem äußerlichen Tagewerke, 
der äußerlichen Wechselbeziehung zwischen Vincent 
van Gogh und Paul Gauguin, denn das innerliche 
Drama dieses Künstlerdaseins, dies wie gesagt, steht 
erwiesen und verbirgt nichts. 
Anschauliches über van Goghs Aufenthalt in Arles 
weiß neuerdings P. Borei im Mercure de France zu 
erzählen. Er hat sich an van Goghs heute verstor* 
bene Hausbesorgerin, die ihn den »Mann mit den 
Wahnsinnsaugen« nannte und an andere Mitlebende 
des Städtchens um Auskünfte gewendet,- was sie ihm 
schilderten ist das Leben eines Einsamen, von der 
Gesellschaft Gemiedenen. Man hielt ihn, da sich 
keiner aus seinemTun etwas Vernünftiges zusammen* 
reimen konnte, für einen gemeinen Spion und diese 
Märe griff dermaßen um sich, daß eines Tags die 
Polizei an die Tür klopfte und die Papiere des Malers 
zu prüfen verlangte. Gauguin, der sich gerade im 
Hause aufhielt, empfing die heilige Hermandad mit 
einer Flut von Schimpfworten. Der Argwohn der 
Bevölkerung gegen den Maler war desto unbegreif* 
lieber, als Vincent van Gogh bei jeder Gelegenheit 
Probe seiner Güte und Hilfsbereitschaft ablegte. Er 
nahm eines Nachts einen Landstreicher bei sich auf, 
weil in der Stadt ihm niemand Unterkunft gewähren 
wollte,- er schenkte ihm sogar einen Teil seiner wahr* 
lieh geringen Barschaft. Der Stromer entgalt des 
Künstlers Gutherzigkeit damit, daß er in van Goghs 
Abwesenheit aus der Wohnung stahl, was ihm ge* 
fiel, und verschwand. Van Gogh war durch diese 
Erfahrung in seinem apostolischen Fürsorgeeifer 
keineswegs entmutigt,- er erstattete gegen den Dieb 
nicht einmal Anzeige. Kurz darauf nahm er eine 
Verzweifelte, die sich das Leben nehmen wollte, in 
seinem Hause auf und rettete sie dadurch/ seither 
nennt die Betreffende, die noch heute lebt, in ihrer 
dankbaren Erinnerung den Künstler nur »den Gottes* 
mann«. Oft unterstützte er mittellose Berufskame* 
raden, indem er sich selber des Nötigsten beraubte. 
Seine Malleidenschaft war die eines Besessenen. 
»Es kam oft vor, daß er während schöner Sommer* 
nächte sich an irgend einer anziehenden Straßenstelle 
oder an den Flußmauern niederließ und hier Stunden 
lang malte, mit der einen Hand den Pinsel, mit der
	        
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