Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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atmende, unendliche Fließen der Himmelsluft 
gegenüber dem massigen, bewegungslosen Er 
denkloß. Auch in Holland will darum die Kunst 
mehr als nur schön und lieblich und seltsam sein 
und wenn ihr auch grobe moralische Zweck 
bestrebungen fernliegen, so waltet doch aufs 
stärkste in ihr die Absicht vor, wieder ihn, den 
Menschen, zu gewinnen. 
Die Werke des holländischen Impressionismus 
<Haagsche Schule) suchten den Menschen für ein 
Georg Kars »Stilleben mit Weintrauben« <Gem.) 
kurzes beglücktes Hinhorchen, ein plötzliches 
genießerisches Stillehalten zu gewinnen,- was 
sie zu bieten hatten, waren Feinschmeckereien, 
Stimmungskitzel. Die Nachfolger dieser Augen= 
reizkunst verlangen statt dessen eine Andacht, 
die nach der rein ästhetischen Seite möglichen 
falls weniger beglückt, weniger leicht und ge 
lassen stimmt. Sie wollen den Menschen über 
seine nur ästhetisdie Erregbarkeit hinaus, über 
seine Landsmannschaft, seine Standeszugehörig 
keit, über seine Schulüberzeugungen hinaus an 
seinem letzten, unbenennbaren Erschütterungs^ 
vermögen packen, nicht um ihn zu verblüffen, 
nicht um ihm Grauen einzujagen, nicht um ihn 
noch einsamer zu machen, sondern um die Selbst^ 
zucht von ihm zu schälen und ihn heranzuführen 
an das Gemeinschaftliche und Allmenschliche. In 
der Kunst soll der Mensch wieder lernen, sich 
weniger mit Denkvorwänden und abgezogenen 
Fragestellungen als mit sich selber auseinander 
zu setzen, in der Kunst weniger gegen Zeit= 
begriffe und Gelegenheitsbedrängnisse als gegen 
sich selber zum ewigen Aufruhre anzurücken. 
Die jungen holländischen Künstler streben also 
mit ihren Werken nicht hinweg vom Leben, son^ 
dern in das Leben hinein. Sie wollen nicht für 
leerstehende Mauerwände und für die gespickten 
Börsen wohlwollender Gönner malen, sondern 
für das innere Bedürfnis der Allgemeinheit. Sie 
suchen diesen Anschluß nicht unter einem An 
reize von romantischer Neugier oder um sich 
dem neuen Herrn, die Masse, geneigt zu stim= 
men, sondern als Schaffende, die sich dem Näch 
sten verpflichtet fühlen. Sie wissen, daß die Um= 
Wandlung der Wirklichkeit, die sie auf ihren BiL 
dern vollziehen oder vollzogen haben, in der 
Erneuerung der werktätigen, taggewissen Wirk^ 
lichkeit ihre Fortsetzung finden muß,* für ihr 
Werk wünschen sie mit ihrer Person einzu= 
stehen. Zeugnisse wahrhaftiger und drangvoller 
Geisteserfahrungen sollen die Werke, darin sich 
der Abbau der Naturformen spiegelt, mit ihrer 
Macht in das Ich des Beschauers hinübergreifen, 
damit auch dieser sich mühe, dem Chaos zu ent 
kommen und sich zu einer seelischen Form auf 
zubauen, die um ihrer selbstwillen Überzeugung, 
Gültigkeit und Daseinsruhe ausstrahlt. 
Nur wenige der jungholländischen Künstler 
sind heute allbereits im Besitze breiter und öffent 
licher Anerkennung. Die Geistigkeit, die sie 
verkörpern, lebt und wirkt sich zwar in allen 
Berufskreisen des Landes aus, aber noch immer 
fragt der Geschmack des kauflustigen Bürger 
tums vor einer Leinwand zuerst nach deren 
Naturähnlichkeit. Ein jeder dieser neuen Maler 
hat eine Zeitlang der naturalistischen Arbeits^ 
Übung gehuldigt und ein jeder hat den Schritt, 
den er von dem landesüblichen Kunstbegriffe 
wegtat, durch Vereinsamung und öfters durch 
die grimmigste wirtschaftliche Not bezahlen
	        
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