Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Hodiarmenien, Kloster Narek 
alsbald verbrennt. Aber die großen Linien der vulkanischen Felsen, die kristallischen Blöcke des 
Basalts, die tiefen Schluchten und das endlose steinige Plateau, die das Leben allseits eindämmen, 
drängen zum Erkennen überpersönlicher Gesetze, denen der Mensch untersteht. Deshalb ist er 
bedürfnislos und bescheiden und kennt den kargen Besitz des Bodens nur als ein Notwendiges 
und Genügendes, das jedes neunte Jahr der neuen Kopfzahl der Familie entsprechend aufgeteilt 
wird, als ein Gemeinsames, das wie das spärliche Wasser, zur Bewässerung dieses Bodens jedem 
für bestimmte Frist zugeteilt wird. Dieser Kommunismus hat aber ein Ende, wo der Einzelne 
dem Boden mehr als das Nötige abringt, wo er einen Baum pflanzt oder neue Bewässerungs 
möglichkeiten schafft. So diktiert die Natur die Gesetze und macht den Menschen streng und 
rauh nach Außen, aber kettet ihn um so enger aneinander in den Formen uralter patriarchalischer 
Gemeinsamkeit. Schwer lastet die Natur auf ihm, macht ihn bedächtig, aber zähe und beständig, 
solange er an diesem Boden haftet. 
Und jener andere Mensch hingegen, in der Fülle seiner Natur? — Hier sind die natürlichen 
Pforten Persiens, mag die Politik die Grenzen wie immer ziehen. Ein hochgebildeter Türke, dem 
Persien eine zweite Heimat wurde, wollte mir den Geist dieses Volkes beschreiben — er sagte: 
»Da trägt ein Knabe seine Bürde auf dem Rücken, er findet eine Blume am Wege, pflückt sie 
und springt freudig weiter ohne der Last zu gedenken.« Und er hatte alles gesagt. — Hier freilich 
im Umkreis des Ararat, zumal in Erivan, sind die Perser gegenwärtig zurückgedrängt, wenngleich 
ein gut Teil ihres Blutes in den Adern der andern Mohammedaner fließt. Aber sowohl in diesen, 
den Tartaren, als auch in dem andern Hauptteil der Bevölkerung, den christlichen, hier über ihr 
eigentliches Heimatsbereich herabgedrungenen Armeniern, ist die Fülle dieser Landschaft lebendig 
geworden. Aus den Primitivformen des Nomaden und Hirtenlebens sind sie zu städtischem 
Reichtum gelangt, verfeinerte Bildung ersetzt die volkstümliche Kraft des Empfindens und Fühlens, 
aus der Gleichheit und Beharrung ursprünglicher Lebensformen sind sie in die Differenzierung 
u nd den fortschreitenden Wandel der Zivilisation eingetreten. Damit hat sich ihre Seele
	        
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