Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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III. ABTEILUNG FÜR GRENZWISSENSCHAFTEN: Sie umfaßt die Anthropogeo- 
graphie, Prähistorie und Ethnologie, also jene Fächer, die der Kunsthistoriker nicht entbehren 
kann, sobald er das engere Gebiet der europäischen Kunst verläßt. Dagegen sind hier die histo 
rischen Hilfswissenschaften nicht berücksichtigt, weil dafür das obengenannte Institut für öster= 
reichische Geschichtsforschung bestellt ist. 
Es versteht sich von selbst, daß ein solches planmäßig aufgebautes Institut nicht an einem Tage 
aus dem Boden gestampft werden konnte. Derartige »Gründungen« sind zwar heutzutage auch 
auf geistigen Boden Mode geworden, tragen aber trotz kapitalistischer Unterstützung meist schon 
den Todeskeim in sich. Die Voraussetzung des Wiener Instituts für vergleichende Kunstforschung 
war die vorausgegangene Lebensarbeit seines Schöpfers, in dem es während einer fast zwanzig*- 
jährigen Tätigkeit an einer Provinzuniversität allmählich Gestalt angenommen hatte, bis sich ihm 
durch die Berufung in eine Zentrale der Wissenschaft die Möglichkeit der Verwirklichung seines 
Planes ergab. Die Voraussetzung war das eigene Erlebnis der verschiedenen Antlitze der 
Kunst in allen Ländern der Erde, errungen durch unentwegtes Vorwärtsschreiten nach Osten. 
Was anderen eine akademische Frage blieb, wurde für Strzygowski ein Kampfruf, eine drama 
tische Spannung und ihre Lösung ein Drama, dessen Aktschlüsse in Byzanz, Ägypten, Klein* 
asien, Persien, Indien, Ostasien und im Norden stattfanden — jeder Akt eine neue Eroberung. 
Andere publizieren, was ihnen der Tag zuträgt und der Verleger fordert, er dagegen baute un 
beirrt sein Haus, für das er sich erst die Bausteine formen mußte. Diesen geistigen Bau in die 
Erscheinung treten zu lassen, erschien ihm kein Plan zu großzügig, und wäre es nach ihm gegangen, 
so stünde heute ein Institutsgebäude im Zentrum von Wien, markant für das Stadtbild sowohl, 
wie für die Kunstwissenschaft. Allein die Welt ging einen anderen Lauf und so müssen zehn 
Zimmer nach wie vor ausreichen — diese schon eine einzig dastehende Errungenschaft für ein 
Universitäts-Institut, das nur eitle »Geisteswissenschaft« pflegt. 
Die Arbeiten, die im Laufe des ersten Jahrzehntes trotz der Hemmungen des Weltkrieges aus 
diesem Institute hervorgegangen sind, die Spezialgelehrten, die darin ausgebildet wurden, beweisen 
die Fruchtbarkeit des Planes und seine Durchführbarkeit, auch im engen Rahmen eines Univer 
sitätsbetriebes. Ich verweise auf das erschöpfende Schriftenverzeichnis des Instituts in Joseph 
Strzygowskis »Ursprung der christlichen Kirchenkunst« {Leipzig, bei Heinrichs 1920) und be 
schränke mich hier nur auf den Hinweis, daß in der kurzen Spanne Zeit, die das Institut vor 
Ausbruch des Krieges bestand, doch auch drei große Forschungsreisen durchgeführt wurden, eine 
nach Armenien {Strzygowski, Glück, Küttler), eine nach Persien und Indien {Diez) und eine nach 
Ostasien {With>, von kleineren Reisen nach Ägypten, der Türkei usw. nicht zu sprechen. Auf 
Grund dieser Reisen konnten gründliche Publikationen über Denkmälerkomplexe dieser Länder 
ausgearbeitet werden. Der nahe und ferne Orient war in kurzer Zeit auch durch Autopsie erobert 
und nur der, welcher den Orient selbst erlebt hat, weiß, daß dieses Erlebnis die wichtigste Voraus 
setzung für sein Verständnis auf jeglichem Wissensgebiete ist. Im übrigen kann es nicht Sache 
eines solchen Institutes sein, sich nur auf Publikationen eigener Expeditionen zu beschränken, 
sondern es ist vielmehr seine Aufgabe, auch die Ergebnisse anderer Expeditionen, die meist nur 
als Material veröffentlicht werden, entwicklungsgeschichtlich zu verarbeiten. 
Wie Strzygowski sich die vergleichende Kunstforschung auf Grund der Kenntnis der Kunst 
des Erdkreises vorstellt, zeigen seine letzten Werke, wie »Altai-Iran« und »Armenien«, besonders 
aber das oben erwähnte Buch über den »Ursprung der christlichen Kirchenkunst« besser, als es 
langatmige Erklärungen vermöchten. Dieses Buch sei daher zur Einsicht empfohlen. Es liefert 
den Beweis, daß die vergleichende Methode nicht etwa ein Zweig der künftigen Kunstforschung 
sein wird, sondern daß sie die Spitze dieser Wissenschaft, wie anderer Wissenschaften auch be 
deutet, das Dach eines Hauses, das ohne sie unvollendet bliebe. Erst durch diese, im
	        
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