Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Glossen und Notizen 
Die Verleumdung des Apelles. Man kann vor 
dem Krieg der unbedingteste Freund der Franzosen ge» 
wesen sein. Und sofort <da letzter Pulverdampf ent» 
schwand) ist man es wieder, sitzt schon in Paris, läßt sich 
rechts und links einladen, als wäre einfach nichts gewesen. 
<Herr Otto Grautoff schreibt in »Kunst und Künstler«, 
Heft 2, über seine unlängstigen Pariser Eindrücke.) 
Man hat ihn also empfangen? Trotzdem besagter Herr 
Grautoff — ? Pst! Reden wir nicht davon! Man liest in 
Frankreich seine Bücher noch weniger als in Deutschland. 
Und sie sollen es nie, nie, nie erfahren. (Genug schon, 
daß »unser großes Leid der Gegenwart ihn bedrückt«.) 
G. Kars »Mädchenporträt mit grüner Haarschleife« (Gern.) 
Aber da ist noch ein anderer Punkt Kommt einer als 
erster nach Paris (da letzter Pulverdampf entschwand) — 
gut so. Auch den Kaffee bei Matisse und dieses Auf» 
die»Schulter»Geklopftwerden wollen wir ihm gönnen. Wir 
(als simple Zurückgebliebene, durstend nach Nachricht 
und neuer Verbrüderung) — wir stellen nur diese eine, 
bescheidene, unauffällige Bitte — : daß derjenige, der aus 
der ersten Fahrt nach Paris den ersten publizistischen Be» 
rieht in einer führenden Kunstzeitschrift veröffentlicht, dies 
mit ebensoviel Gewissenhaftigkeit als Verantwortung tue. 
Es sei kein beliebiger Zeitungsartikel, nie und nimmer. 
Sondern ein Grundstock zu neuem Bau. 
Monsieur Grautoff, man kann verschiedener Ansicht 
über Picasso sein. Niemand wird Ihnen, wenn Sie aus 
diesen oder jenen Gründen sein Gegner sind, das Recht 
hierzu benehmen. Wenn man aber Matisse, Bourdelle, 
Derain, Maillol sozusagen auf die Bude rückt, ihnen 
stundenlang Gespräche vom Munde abschreibt, ihre 
Ateliers durchstöbert und endlich hymnisch über sie be» 
richtet, — dann geht es nicht gut an, Picasso nicht nur 
nicht aufzusuchen, sondern nur dasjenige über ihn zu be 
richten, das der ihm schlecht gesinnte Matisse zu erzählen 
weiß. (Bei Kaffee und Zigarette gleichsam.) Ob man es 
glaubt oder nicht — : es gibt Verantwortungsgefühl in der 
Publizistik, selbst wenn man über Franzosen schreibt, 
Monsieur. Warum fanden Sie nicht, da Sie Zeit genug 
für schwärmerische Spaziergänge samt zugehörigen Re» 
flexionen und für Erdrücktwerden vom großen Leid der 
Gegenwart hatten, — ich frage, warum fanden Sie diesen 
halben freien Tag nicht, um auch Picasso zu besuchen, 
der — wäre es auch mit tötlicher Sicherheit Bluff — doch 
sicherlich amüsant über Matisse zu erzählen weiß? Nichts 
hätte uns mehr interessiert als diese objektive Darstellung. 
Wäre nicht auch sie von unabsehbarem, historischem In» 
teresse gewesen? (Wer weiß, vielleicht malt Matisse für 
Leonce Rosenberg ganz normal und für Paul Rosenberg 
mit den Händen in den Hosentaschen?) 
Oder sollten Sie an dem versäumten Besuch keine Schuld 
tragen? Sollte Picasso nicht zu sprechen gewesen sein? 
Sollte er von Ihnen eine Kleinigkeit gelesen haben (so 
zwischen 1914—1919), die ihm nicht unbedingt gefiel? 
Der sanfte Innocenz. 
Erledigung. Herr Willibald Nagel, Herausgabe» 
Professor der »Neuen« Musikzeitung, hat einen Match 
mit den Futuristen riskiert. Kraft seines germanischen 
Akademie» »Künstler« tums und eingedenk seiner Auf» 
gäbe, das deutsche Gemüt vor Devirgination zu schützen, 
fühlte er die Verpflichtung zu einer Großtat, die hier 
beleuchtet sei. 
Klar ist, daß der Nagel, den auf den Kopf zu treffen 
ich gewillt bin, sich in seinem Elaborat eines Stils bedient. 
Typisch, daß dieser Stil sich nach Möglichkeit dem bei 
künstlerisch (und politisch) rechts stehenden Skribenten so 
beliebten Unteroffiziersjargon zu assimilieren sucht, das 
eins der innigsten und liebsamsten Signale des deutschen 
Gemüts darstellt. So sei meinen Herzlichkeiten die Liste 
des nagelistischen Unflats vorausgeschickt. Hier ist sie: 
»Hansnarren,-blödes Gestammel,- spekulative Artisten» 
fexerei,- schrullig lächerliches Schaffen,- alberne und großen» 
wahnsinnige Kundgebungen,- Modetorheit,- Fratze neben 
Fratze,- Irrlehren,- Freibrief für blutigsten Dilettantismus,- 
Geschmiere,- Futurismus ist Spekulation mit unlauteren 
Mitteln,- Dissonanzen in sinnloser Häufung,- chaotischer 
Wirrwarr,- nur pathologisch zu bewertende Auswüchse,- 
entarteteVorstellungswelt,-spielwütigeSpekulationssucht.« 
Enfin! Das sind Argumente, deren logischer Überzeu» 
gungskraft und Tiefe sich gewiß kein Leser zu entziehen
	        
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