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kündigt sich an, die Zeit der fermiers genereaux, der roture, die am Ende des Jahrhunderts stark
genug geworden war, sich in der Kunst einen eigenen Stil zu schaffen und in der Politik eine
Revolution zu machen.
Am einfachsten ist die Praxis in den großen Staatssammlungen oder in jenen städtischen Museen,
in denen noch Reste der alten historischen Sammlungen sich finden. Da kommen die schön ge
schriebenen Urkunden mit den Siegeln und Bullen in ihr Recht, die miniierten Meßbücher, die
Waffen und Folterwerkzeuge, lauter Dinge, die mit brennendem Interesse aufgenommen werden
und sich für ewig einprägen. Aber auch aus reinen Kunstmuseen kleinerer Dimensionen, und
besonders aus den Kunstgewerbemuseen läßt sich viel mehr herausholen, als man glaubt.
Zur Unterstützung ihrer kulturhistorischen Mission sollen die Museen für die Schüler Licht*
bildvorträge in dieser Richtung halten lassen und eine Abbildungssammlung anlegen, die sie den
Lehrern zur Verfügung stellen. Bei dem starken, heue doppelt starken, historischen Interesse der
Menschen wird hier sicher auch den nichtjugendlichen Kreisen gedient sein. Man unterschätze
überhaupt nicht, wie sehr bei vielen Kunstmuseumsbesuchern das historische Interesse vorwiegt.
Das hängt mit der ganzen Art der Vorbildung zusammen. Der Deutsche ist nun einmal nicht
formal angelegt wie der Romane, aber es ist immer noch besser, wenn er gemäß seiner Wesensart
bei Botticelli an Savanarola denkt und bei Tizian an Karl V. und Moritz von Meißen, als wenn
er sich jene allzubekannte kunsthistorische Halbbildung aneignet.
Es kann nicht mehr lange dauern bis die Urgeschichte zum wesentlichen Bestandteil des Schul
unterrichtes wird und zwar aus zwei Gründen. Ganz allgemein geht es nicht mehr an, die Ge
schichte bei den alten Griechen beginnen zu lassen und die davor liegenden 30 000 Jahre einfach
zu ignorieren, dann aber verlangt die Typenlehre der Soziologie, einer Wissenschaft, die im SchuL
unterricht der Oberklassen einen immer breiteren Raum einnehmen wird, an jeder Stelle ein
genaues Eingehen auf die Ergebnisse der Urgeschichte. Eng damit aber ist die Benutzung der
Völkerkundemuseen verbunden, um gewissen Phasen dee Entwicklung, als von uns durchlaufen
oder als in der Urgeschichte verloren, aber bei irgend welchen australischen oder afrikanischen
Völkern als noch lebend aufzuzeigen. Auch hier wiederum haben sich diese Museen in den Dienst
des Unterrichtes zu stellen und zwar durch entsprechende Anordnung, durch hervorhebende
Bezettelung und durch leicht faßliche Führer. Der Weg, Schausammlung und wissenschaftliche
Sammlung zu trennen, ist gar nicht mehr vermeidbar. An erster Stelle steht die deutliche Vor^
Weisung der Techniken. Wie Feuer angezündet wird und Töpfe geformt werden, gemahlen, ge
schmiedet, gekocht wird, das interessiert, nicht welche Ornamente es gab. Ungemein wichtig für
die Religionsgeschichte, die wohl auch in der Zukunft da und dort den Religionsunterricht ver^
drängen wird, ist die Vorführung der kultischen Bräuche in enger Verbindung mit jener der heutigen
primitiven. Möglichste Übersichtlichkeit ist da geboten. Alle Anhäufung, aller »Reichtum« ver*
wirrt und lenkt ab. Die Gesellschaftsklassen, ihre Abzeichen, ihre Gewohnheiten und Beziehungen
müssen gezeigt werden können, das Staatsleben im Krieg und Frieden. Zu all diesem ist es aber
nötig, eine soziologisch-typologische Sammlung aus Urgeschichte und Völkerkunde kombiniert
anzulegen. In ihr sind einerseits die Typen und ihre Entwicklung und andererseits die Schichtungen
darzustellen. Hier interessiert das betreffende Volk als solches nicht mehr, sondern ist nur Beispiel
für den Typus, den es vertritt. Bei der zumeist gehandhabten Anordnung nach Völkern war
dergleichen in den Völkerkundemuseen nie klar vorzuweisen.
Bisher ist die Kunst selbst hier nicht berührt worden. Die Museen, so intensiv sie hier für die
Schulbildung ausgewertet worden sind, hatten einzig Kulturgeschichtliches zu vermitteln. Von
Kunst wurde nicht gesprochen. Und dies mit Willen und mit vollem Recht. Das Kind hat, wie
eingangs bemerkt, kein Bedürfnis nach Kunst, und der Jugendliche, bei dem dies Bedürfnis beginnt
und in der extatischen Zeit der Geschlechtsreife sich teilweise sehr stark äußert, muß unbedingt