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daß ich mich für berechtigt halte, das von mir in dieser
Versammlung gehaltene Referat zur öffentlichen Dis-
kussion zu stellen. Die Versammlung selbst erhielt
besonders dadurch ein hohes Niveau, daß kein ge»
ringerer als Lujo Brentano mit ausgezeichneten
Worten für die Beseitigung der Valutaordnung
eintrat. Er betonte, daß wir mit dem Valutazuschlag
dem Ausland gratis den Dienst leisten, den es
wünscht nämlich, unsere Ausfuhr zu hemmen und dem
Ausland den Einfuhrzoll zu ersparen. Der deutsche
Geist sei der einzige Rohstoff, an dem wir nicht zu
sparen brauchen. Der Valutazuschlag sei verderblich
und ein Hindernis des natürlichen Ausgleichs und der
Wiedergesundung unseres Geldwesens. Außerdem
trat Bibliothekar Dr. Grätzel namens der Staats»
bibliothek für Beseitigung dieses Unfugs ein. Er
schilderte aus den Erfahrungen seiner Auslandsreisen
die geradezu vernichtende Wirkung dieser größten
Dummheit in der Geschichte des deutschen Buch»
handeis und zeigte, welchen Einfluß das französische
Buch in kurzer Zeit gewonnen hat, weil der franzö»
sische Verlagsbuchhandel und die französische Regie»
rung lachend die ihnen von dem deutschen Buch»
händler » Börsenverein hingeworfenen Vorteile auf
genommen hat. Das Münchener Handelsministerium,
welches das seltene Glück hat, einen äußerst klugen
und welterfahrenen Referenten zu besitzen, hat die
Angelegenheit in dem von uns gewünschten Sinne
aufgegriffen.
Erschütternd war der Erfolg dieserProtestversamm»
lung bei der maßgebenden Leipziger Stelle. Nach
wenigen Tagen erschien im Budhhändler»Börsenblatt
eine Bekanntmachung von fünf Seiten mit Paragraphen
und Paragräphchen, Absätzen und Absätzchen, in
welcher versucht wird, die in Trümmer gegangene
Valutaordnung wieder zusammenzuleimen. EinVer»
such, so rührend komisch, daß man Mitleid haben
müßte, wenn der Fall nicht so bitter Ernst für die
Zukunft der deutschen Schriftsteller und der deutschen
Sortiments » Buchhändler wäre. Außerdem erschien
in den Münchener Neuesten Nachrichten ein als Er»
widerung gedachter Artikel des volkswirtschaftlichen
Beirats des Börsenvereins der deutschen Buchhändler
zu Leipzig. Dieser Artikel atmet ganz den Geist des
Börsenvereins. Gott schütze den Börsenverein! Gott
schütze das arme Sortiment und den armen Sorti»
menter, der sich nicht selbst zu helfen weiß.
Und die Verleger? »Im Durchschnitt ist man kum»
mervoll und weiß nicht, was man machen soll.«
Die Entschließung, welche von der Protest versamm»
lung mit allen gegen vier Stimmen angenommen
wurde, hat folgenden Wortlaut:
Die in München im Steinickesaal tagende Versammlung,
bestehend aus Angehörigen geistiger Berufe, erhebt mit
Vertretern des Münchner Buchhandels gegen den Valuta
aufschlag in der zurzeit bestehenden Form bei dem Reichs
wirtschaftsministerium Protest, da seine Einführung auf
falschen Voraussetzungen beruhte, und da seine Wirkung
dem deutschen Buchhandel, dem deutschen Ansehen, der
deutschen Kultur und der deutschen Politik schädlich war,
weil sie außerdem auf Kosten des ehrsamen Handels eine
neue Kategorie des Schleichhandels geschaffen hat. Er ist
auch durch die inzwischen gestiegenen deutschen Bücher
preise in seinen Absichten überholt. Die Versammlung
sieht in dem deutschen Buche nicht nur den sachlichen Ex
portartikel sondern das stärkste geistige Band zur Wieder
anknüpfung alter internationaler Beziehungen und die
Voraussetzung, das Deutschtum im Auslande von neuem
zu beleben und zu fördern. Die Versammlung sucht um
gehend eine gemischte Kommission zu bilden, zu der auch
Nichtbuchhändler beigezogen werden.
Ich lasse jetzt das Hauptreferat im Wortlaut folgen
und hoffe in der nächsten Nummer auch die An
sichten des Referenten der Verlegergruppe, Herrn
Heinrich Minden, zur Diskussion bringen zu können:
Als Gründe für die Einführung derValutaordnung
wurden hauptsächlich angegeben: Papierknappheit
und die Gefahr eines Ausverkaufs des deutschen
Buches durch den niedrigen Markkurs.
Während des Krieges war die deutsche Bücher
produktion, welche in derVorkriegszeit einen unheim
lichen Umfang angenommen hatte, naturgemäß be
deutend zurückgegangen. Nach den ersten Monaten
der Verblüffung hielt sie sich jedoch auf einer respek
tablen Höhe. Die deutschen Siege zeitigten einen
Optimismus, der sich wohl zunächst in der Hurra-
Literatur auslöste, dann aber auch ernstere Verlags
unternehmungen ergriff, und die Qualität des deut
schen Buches bis gegen das Kriegsende in Ehren hielt.
Die größte Zurückhaltung in der Produktion übte der
wissenschaftliche Verlag. Naturgemäß, denn die
Hauptabsatzgebiete waren ihm verschlossen,- einmal
durch die Sperrung des Auslandes, dann aber auch
durch Umstellung der Industrie und die Zuweisung
neuer Aufgaben an die Wissenschaft.
Die Kurve der Verlagstätigkeit zeigt sich in den
folgenden Zahlen, denen von jedem Jahr der erste
Semesterband des Hinrichschen Jahreskataloges zu
grunde gelegt ist. 1914 umfaßte er 639 Seiten, 1915
429 Seiten, 1916 371 Seiten, 1917 403 Seiten, 1918
438 Seiten, 1919 476 Seiten, 1920 579 Seiten. Wenn
alle Bücher, die im B. Bl. in den letzten sechs Monaten
angezeigt wurden, noch in diesem Jahre erschienen
sein sollten, wird der zweite Semesterband des Jahres
1920 wohl 800 Seiten erreichen. Wir ersehen aus
dieser Kurve, daß der unglückliche Ausgang des
Krieges nicht den geringsten Einfluß hatte auf die seit
1917 ständig steigende Zahl der Publikationen. Ein
Ausverkauf des deutschen Buches ist also nicht zu
befürchten.