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Bei ernsterer Vertiefung und nachdem der erste Schaffensrausch verflogen, erkannte ich aber,
daß meine Technik mich zu sehr vom Zufall abhängig machte,- so verzichtete ich auf die raffinier
teren Effekte des Kleisters und griff zur reinen Tempera. Wenngleich ich nun ein ganz richtiger
Maler geworden war und mit Wut gegen jeden anderen als den rein malerischen Inhalt der Bilder
wetterte, fühle ich doch von Zeit zu Zeit einen tiefen Zwiespalt, eine Zerrissenheit sondergleichen.
Wirklich koloristisch einwandfrei waren meine Bilder doch nicht, im Gegenteil, es machte sich eher
ein ausgesprochenes Tongefühl wieder geltend. Ganz, ganz heimlich zeichnete ich auch hin und
wieder einmal etwas Groteskes zur Erleichterung und weil es unbedingt festgehalten werden
mußte. Die Kauflust meiner Gönner ging sehr zurück — neue Zweifel! Um allen diesen Dingen
ein Ende zu machen, fuhr ich im Winter 1905 mit meiner Frau nach Paris, wo ich die eigentlichen
Farbenkünstler sehen wollte. Da waren vor allem die Meister der früheren Generationen, der
Barbizon-Schule, die mich anregten: Corot, Diaz, Daubigny, Rousseau in ihrer luftigen feinen
Art,- vor allen Dingen erinnere ich mich, daß mich Constables gespachtelte Manier entzückte.
Nebenbei konnte ich allerdings nicht widerstehen, den betagten Odilon Redon zu besuchen, der
die Verehrung des Zeichners Kubin genoß. Es gelang mir auch, einige schöne und seltene Werke
des Meisters zu erwerben.
Die Impressionisten machten mir wohl einen sehr großen Eindruck, den stärksten, den ich
von französischer Kunst bekam, für mein eigentliches Geheimfach hatten sie aber nicht diese
große Bedeutung, sie waren mir zu wenig traumhaft, doch gefiel mir die Leichtigkeit ihres
Ausdrucks.
Als ich dann wieder heim nach München kam und wieder malte, packte ich die Sache viel groß
zügiger und kühner an als vorher,- ich hatte keine Angst mehr vor Pinsel und Farbe. Die Themen
blieben die gleichen. Das ging so eine geraume Weile und ich glaube, meine Bilder aus diesen
Tagen können sich ganz gut zeigen, besonders, da ich die oft auftretende formale Unbeholfenheit
der Zeichnungen hier nun vollkommen überwunden hatte, was auch allgemein anerkannt wurde.
Es kamen fast jeden Tag Leute zu mir, um meine Arbeiten zu sehen, aber vielen waren meine
alten Sachen lieber. Doch ich sprach nur ungern von meinen Zeichnungen und es schmerzte mich,
sie herzuzeigen. Viel lieber war es mir, wenn die Leute sich die Temperas anschauten. So ent
standen zwei regelrechte Parteien, und ihre Meinungsverschiedenheiten hätten auf mich gewiß gar
keinen Einfluß gemacht, wenn ich nicht selbst im geheimen zerrissen und von Zweifeln geplagt
gewesen wäre.
Mir war sehr schwül zumute und als ich durch meinen Vater auf eine Gelegenheit aufmerksam
gemacht wurde, die sich mir bot, einen kleinen Landsitz in Oberösterreich, nächst dem Inn, zu
kaufen, war ich gleich sehr eingenommen für den Plan. Seitdem leben wir in Zwiddedt.
Ich malte zunächst unentwegt und verbissener wie je weiter, aber meine inneren Widersprüche
und Skrupel wurden immer ärger. Zunächst verfiel ich auf unterseeische Landschaften, in lebhafter
Erinnerung an einige große Aquarien, die mich mit ihrem Rausch von Farben und Formen gebannt
hatten. Aber das genügte mir noch nicht, ich wollte durch den Widerstreit meiner Empfindungen
getrieben, über mich, über die Natur, über alles hinaus. Und als ich im Mikroskop feenhafte Gebilde
von feinsten tierischen und pflanzlichen Stoffen studieren konnte, kam wie von selbst eine Entladung.
Ich arbeitete unter einem mächtigen Druck, der sich nun wohltuend löste, aber was ich machte, läßt
sich nur schwer beschreiben. Konsequent lehnte ich nun jede Erinnerung an die gegebene organi
sierte Natur ab und formte aus Schleier und Strahlenbündeln, aus Kristall oder muschelartigen
Fragmenten, aus Fleisch und Hautlappen, aus Blatt, Ornamenten und tausend anderen Dingen
Kompositionen, die, in einem warmen oder kalten Lichtschimmer getaucht, mich während der Arbeit
selbst immer wieder aufs neue überraschten und tief befriedigten, ja, mich so glücklich machten,
wie selten das Schaffen vorher oder später. Ist's zu verwundern, daß sich da auch für den radikalsten,