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Im Walde versteckt, auf einem Slreuhaufen oder meiner Lodenpelerine hockend, zog ich den
Atem in der vorgeschriebenen Weise ein, bis in mir alles ganz sonderbar still wurde, das Säuseln
des Windes, Vogelstimmen, wie aus unendlicher Ferne nur noch leise ans Unterbewußtsein
anklagen,- schwanden auch die letzten fremden Geräusche, wurde der Faden der Empfindung noch
dünner, dann war eine grauweiße Helligkeit alles, was ich noch von mir spürte. Noch weiter ge
trieben wurde es ganz Nacht, ein paarmal blitzten aus finsterem Grund schattenhaft wunderliche
Umrisse auf, so einmal ein Fischchen, ein ander Mal war alles übersät von mir unverständlichen
Zahlenfiguren. Die Atemübungen griffen stark an und ich spürte schon nach wenigen Tagen in der
Herzgegend einen ständigen Druck, den ich wie ein Alb mit mir herumschleppte. Einmal beun
ruhigte mich ein oft wiederkehrendes Herzklopfen zu stark, Angst würgte mich am Hals, — da
stieß ich den ganzen Buddhismus von mir, das vertraute, altgewohnte Leben wieder umarmend.
Dies geschah am 12. März 1916. Die Krise hatte genau 10 Tage gedauert. Seit der glücklichen
Stunde, in der ich mich den Schlinggewächsen eines so gefährlichen Zaubergartens entwunden habe,
sind nun 15 Monate vergangen. Wie ein kalter Hauch streift mich oft noch die Erinnerung an den
heimtückischen Überfall, und in allen mir zugänglichen Winkeln des seelischen Labyrintes wittere
ich mit feiner Spürnase nach etwa noch verborgenen Fallgruben.
Nicht nur die ungetrübtesten, sondern auch die seligsten von unirdischem Glück erfüllten Monate
erlebte ich seitdem. Mit Sorgfalt pflege ich meine Nüchternheit, um die Herrschaft über meine
schaffende Phantasie immer fester in die geübte Hand zu bekommen.
Verkürzte Wiedergabe der Autobiographie in A. Kubins Roman »Die andere Seite«.
Verlag Georg Müller, Mündien.