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die Lineale das Wrack eines Zeichentisches, die dreibeinige Kommode, mit einem Wort alle hölzernen Möbel
wurmstichig und morsch waren.
Wie sah ich selber aus? Sonderbar genug! Na, wenigstens liefen auch andere, sonst adrett und sauber
gekleidete Leute nun recht verlottert herum. Schimmel an Kleidern und Schuhen hatten wir alle. Da half
kein Waschen und Schaben, es kam schnell wieder nach. Die Kleiderstoffe wurden mürbe, faserten und
fielen stückweise von uns. Wir Männer ertrugen das mit Würde, doch die armen Damen! . . . schweigen wir!
Eine größere Veränderung trat ein, als die Häuser nicht mehr recht bewohnbar waren. Zu ebener Erde
gings noch, Stiegensteigen aber erforderte wilden Mut.
Als mir eines Tages der Kellner ein faules Ei, eine trübe Flüssigkeit in einer zerbrochenen Bierflasche und
einen fetten,
schmierigenLap*
pen —■ wohl als
Serviette gedacht
— vorsetzte, da
riß mir die Ge*
duld und ich rief
nach dem Wirt.
Dieser war ge*
rade damit be
schäftigt, im
Hintergründe
mitdenTeilendes
Billards die De*
cke zu stützen.
»Was soll
das!« herrschte
ich ihn an, »an
diesem Bestecke
sitzt Tin Pfund
Grünspan. Die
ses ekelhafie
Zeug und den
Schmierlappen
nehmen Sie ge*
fälligst fort!« Er
verbeugte sich
und wimmerte:
»Ach, das Per*
sonal, werter
Herr!«
»Schon gut,«
winkte ich erbost
ab, stand auf,
nahm meinen
verschabten Zy*
linder und ver
ließ das Cafe.
Auf der Stelle,
wo ich gesessen,
hatte sich eine
kleine Ameisen*
kolonie gebildet.
In das Kaffee*
haus ging ich nur
noch aus Ge*
wohnheitsdrang.
Es war zu un*
appetitlich, als
daß man mehr
als einen schwär*
zen Kaffee hätte
genießenkönnen.
Anton war sehr
zu seinem Nach*
teil verändert, er
hatte ungewa*
schene Hände
und roch auf gro*
ße Distanzen. So
wie Anton
brauchte man
doch nicht he*
rumzulaufen.
Die an ihm haf*
tende Schmutz*
kruste nannte der Friseur »Materie«. Es war einfach ekelhaft! Um so mehr erstaunte ich, als ich einmal
abends beim Heimkommen ein leises Kichern im Hausflur hörte, und beim Ableuchten aller Winkel, da ich
irgendwelche Tiere vermutete, hinter der Speichertür Herrn Anton in liebender Umarmung mit Melitta an*
traf. Sie fand bald darnach ihren Tod. In ihrem Schlafzimmer wurde sie mit zerrissenem Leibe aufge*
funden. Die verriegelte Tür mußte erbrochen werden. Eine kolossale Dogge war mit eingesperrt. Das
tolle Tier stürzte sich mit gesträubtem Haar auf die Eindringlinge und verletzte zwei Polizeimänner durch
Bisse, bevor es erschossen werden konnte. Die beiden starben bald nachher an Hundswut. In ihren letzten
Lebenstagen waren von der einstigen Schönheit Melittas nur noch karge Reste zu sehen gewesen. Ver*
geblich hatte sie durch übertriebenes Schminken und Pudern die Zeichen ihres Wandels zu maskieren gesucht.
Mysterium