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stich. Der ungehemmte Strich der Zeichnung ließ sich so gewisser- 
maßen auf die Platte übertragen. Uns will heute scheinen, daß Dürer 
in der Verwendung der Technik höchst erfolgreich war. Die Werke, 
die in ihr entstanden, scheinen uns zu seinen erregendsten und leiden- 
schaftlichsten zu gehören; da ist, neben dem bekanntesten Blatt, der 
Kanone, jener Christus am Oelberg, bei dem man nach Wölfflins 
Worten gleichsam den Wind durch die mitleidend gewundenen Aeste 
des Baumes ziehen hört, oder jener auf nächtlichem Himmelsgrund mit 
wildbewegten Gewändern schwebende Engel, der das Schweißtuch 
Christi wie eine Fahne schwingt, und schließlich die Entführung auf 
dem Einhorn mit dem unheimlich weißen Wolkenballon, die dröhnend 
zu widerhallen scheint vom dumpfen Hufschlag des höllischen Tieres. 
Doch Dürer war anderer Ansicht; er hat die Versuche nicht weiter- 
geführt. War er erschrocken über die eigene Kühnheit? Schien dem 
Meister des Kupferstichs die Wirkung zu wenig fein? Vielleicht haben 
doch eher technische Gründe mitgespielt. Die Eisenplatten rosteten 
leicht, späte Drucke zeigen deutliche Rostflecken; auch erlaubten wohl 
die Platten keine hohe Zahl von Abdrucken. 
Noch schneller ist Dürer, und wohl aus ähnlichen Gründen, von der 
Technik der kalten Nadel wieder abgekommen, mit der er im Jahr 1512 
drei Versuche gemacht hat. Das Verfahren, bei dem die Kupferplatte 
mit der scharfen Schneidenadel geritzt wird, war nicht neu, schon der 
sogenannte Hausbuchmeister hat es im 15. Jahrhundert angewandt, 
aber auch hier ist Dürer gleich auf ersten Anhieb zu bedeutenden 
Resultaten gelangt. Neben einem kleinen Schmerzensmann, der als 
Versuch gelten darf, entstanden zwei große Blätter, eine heilige 
Familie und ein Hieronymus in der Einöde, die in ihrer samtigen, 
ıonigen Feinheit ins malerische 17. Jahrhundert zu weisen scheinen. 
„Als ob Rembrandt eine ausgedruckte Dürerplatte übergangen hätte‘, 
so hat Max Friedländer den Eindruck, den diese Blätter machen, 
formuliert. Doch auch diese Spur hat Dürer nicht weiter verfolgt; er 
kehrte zu den überlieferten Techniken zurück, deren Ausdrucksmög- 
lichkeiten er mit Meisterschaft beherrschte und erweiterte. 
Lassen wir die Stationen, die der Weg zu dieser Meisterschaft be- 
rührte, kurz an uns vorüberziehen: 
Dürer, als Sohn eines aus Ungarn zugewanderten Goldschmiedes 1471 
in Nürnberg geboren, kommt als 15jähriger nach einer beim Vater an- 
gefangenen Goldschmiedlehre in die Werkstatt des Malers Michael 
Wohlgemut. Dort verbringt er seine Lehrzeit, um dann die für den
	        
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