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Marias, das zwar der Schmerzen nicht entbehrt, aber doch, eher zu 
ruhigem Erzählen Anlaß gibt. Vieles geschieht. auf diesen Blättern 
unter den Augen einer großen Zuschauerschar, deren Gruppierung 
und Charakterisierung den Künstler oft fast mehr zu interessieren 
scheint als der Hauptvorgang. Auffällig ist der große Raum, der den 
Architekturdarstellungen gegeben ist, fast alle in italienischem Stil 
mit nachdrücklich vorgetragener Perspektive; kein Wunder, sind diese 
Blätter doch entstanden in einer Zeit, in der die italienische Saat in 
Dürer erst so recht aufzugehen schien. In den Jahren um die Jahr- 
hundertwende haben ihn besonders formale Probleme beschäftigt, 
die Perspektive, vor allem aber die menschliche Gestalt. Einen Körper 
ganz zu begreifen in jedem Muskel und ihn dann hinzustellen in 
seinem architektonischen Aufbau, so daß er mehr ist als ein Einzelfall, 
ein allgemein gültiger Typus! 
Nun müssen wir die Versuche und Lösungen nicht mehr im Holz- 
schnitt suchen, sondern, neben der Zeichnung, im Kupferstich, in 
jener gespannten Rückenfigur des Kupferstich-Herkules etwa, oder in 
dem selber wie ein Bogen gespannten bogenschießenden Apollo, vor 
allem aber in dem Stich Adam und Eva von 1504, in dem das Thema 
nur ein Vorwand ist zur Darstellung eines männlichen und eines 
weiblichen Idealkörpers. Wir wissen, daß Dürer die beiden Gestalten 
nach italienischem Vorbild mit Zirkel und Maßstab konstruiert hat; 
er wollte die Gesetze der menschlichen Schönheit erkennen. Doch 
auch der Bildung des Tieres ist er nachgegangen in dem Stich das 
Kleine Pferd; ja sogar dem Roß in Ritter, Tod und Teufel liegt ein 
Konstruktionsschema zugrunde. 
Aber neben den errechneten Idealfiguren steht immer wieder die 
mit vollster Intensität erfaßte, formerfüllte Wirklichkeit. Neben der 
Eva die schwere, von genauester Naturbetrachtung zeugende Frauen- 
gestalt der Nemesis. Neben dem kleinen, das aus der unmittelbaren 
Naturansicht entstandene Große Pferd. 
In dieser Zeit hat der Durst nach den Geheimnissen der Form Dürer 
noch einmal nach Italien getrieben; er wollte an der Quelle trinken. 
Das ganze Jahr 1506 hat er wieder in Venedig zugebracht, mit Reisen 
nach Bologna, Padua und wahrscheinlich Mailand. 
Diese zweite Reise bedeutet offenbar so etwas wie eine Krisis. Zurück- 
gekehrt, hat Dürer zwar sein formales Suchen nicht aufgegeben — er 
machte Studien für sein Buch über die Propositionslehre — aber es ist, 
als sei dem Mann auf der Höhe des Lebens klar geworden, daß der 
großen Form auch ein bedeutender Inhalt zu entsprechen habe. Es ent- 
stehen neben den bedeutenden Gemälden, jene Meisterstiche, die zum
	        
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