„Lassen Sie mich doch gehen. Bin ich denn hier ein
keuscher Josef, nur weil ich die Jungfräulichkeit meiner
Männlichkeit bewahre?"
„So sei doch nicht so unzugänglich."
Ich war starr. Na, ich brauche doch nicht bei allem da
beizusein. „Lasten Sie mich los. Wenn ich schreie, sind Sie
unsterblich blamiert. Achten Sie die Rücksicht, die ich auf
Sie nehme. Lasten Sie gefälligst die Hände von meiner
unangetasteten Mannbarkeit, ja? — Was, zwanzig Mark!
Wissen Sie überhaupt, wer ich bin? Ich bin der ewige
Verlobte der reinen Jungfrau. Hände weg, oder ich
schreie. Sie blamieren Ihr ganzes Geschlecht. Das wer
den Sie wohl nicht auf sich nehmen wollen. Ja, doch?
Sie sind mir zu weiblich, zu tief weiblich. Ich verachte
das. Ich kann keine Frau berühren. Sie haben verloren,
was ich bin. Ich bleibe Mann und Frau, aber Sie sind
nur Weib. Ich spucke. So sehr weiblich bin ich nicht. Sie
sind im Irrtum über sich selbst. Hier bleibe ich rein, ge
schweige daß ich mich verkaufe. Bin meine eigene Jung
frau, keusch bis zur höchsten Besinnung, wenn Sie wol
len. Will nichts empfangen, weder befleckt, noch unbe
fleckt. Ich bin eine Statue von Stein."
Da sehe ich zufällig: über ihrem Schaukelstuhl, auf ei
ner kleinen Konsole, hält Thorwaldsens segnender Chri
stus die Hände aus Gips über Nelly. Mir schien, er habe
aufmerksam zugehört, wie wir zu seinen Füßen uns strit
ten. Er sah doch sehr direkt auf uns herab. Unwillkürlich
dämpfte ich meine Stimme:
„Weshalb steht Christus da?"
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