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„Seht her,“ sagte sie, „die herrliche Gans!“ Und
sie nahm die Schüssel aus dem Schrank und hob sie
hoch, wie Salome die Schüssel mit dem Haupt des
Jochanaan hochhob, und Raffaela schrie auf:
„Aehhh, die Gans!“
Fanatisiert und rabiat warf sie die beiden Arme
hoch, auf die Schüssel zustürzend und sie umtanzend.
Lydia aber überkam es wie Verklärung. In den
nächsten besten Stuhl sank sie.
„Die schöne Gans!“ hauchte sie, ganz versunken
und verträumt, mit gefalteten Händen und gotterge
benen Augen. „Wann wird sie gegessen?“ Und ihr
Unterkiefer bebberte gierig und erregt, wie einer Katze
das Maul zittert, wenn sie den Kanarienvogel sieht.
Jenny weidete sich an der Qual ihrer Opfer.
Mit der einen freien Hand hielt sie sich Raffaela
vom Leib, die alle Anstalten machte, in den Besitz
der Gans zu kommen.
„Wann wird sie ^gegessen? Wann wird sie verzehrt?
Wann wird sie verspeist?“ rief nun auch Raffaela.
Lydia sass noch immer mit funkelnd hingegebenen
Augen. i
Und Jenny, amüsiert, grausam, pervers:
„Vielleicht morgen. Vielleicht übermorgen. Viel
leicht schon heute nacht. Je nachdem!“
„Wieso heute nacht?“ dehnte Raffaela betroffen.
„Nun,“ sagte Jenny, ganz grande dame, „vielleicht
kommen ein paar Freunde von mir und meinem Mann,
und wir feiern einen kleinen Abschied.“
„Aehhh!“ rief Raffaela, „wir kommen auch! Wir
kommen auch!“ *
Aber Lydia warlschon wieder sentimental geworden.