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Güssy aber, die im Nu, zurückbleibend, die Chancen
des kommenden Streits berechnet hatte, langte sich
ihre Beinkleider und zog sieh an, fieberhaft. Ihr Tem
perament war stiller, phlegmatischer, heiss. Aber so
viel wusste sie: Angekleidet würde sie bei einem Streit
vor ihren im Hemd stehenden Rivalinnen im Vorteil
sein.
Der Streit liess nicht auf sich warten. Unter der
Türe zwischen Esszimmer und Küche begegneten sich
Traute und Rosa. Die eine mit den Stiefeln, die andere
mit Bürste und Creme. Güssy knöpfte sich gerade die
Spangenschuhe zu.
„Gib die Stiefel her!“ rief Rosa, „sie gehen dich
nichts an! Ich bin länger im Hause als ihr!“ Sie wollte
sich gerade heute ein Vorrecht nicht nehmen lassen,
auf das sie früher gerne verzichtete.
Aber Traute dachte nicht dran, die Stiefel aus der
Hand zu geben.
„Hast du sie gestern gewichst? Hast du sie vor
gestern gewichst? Verstehst du überhaupt was davon?
Fütter’ deine Tauben!“
Güssy lachte. Aber Rosa hatte keine Lust zu weit
schweifigen Auseinandersetzungen.
„Gib sie her!“ rief sie entrüstet und klopfte der
Traute die Wichsbürste auf die Nase.
Güssy kam näher aus dem Lattcnverschlag, lachend.
Die Stiefel fielen zu Boden. Die Wichsbürste ebenfalls.
Die Creme rollte unter den Schrank. Traute und Rosa
kriegten sich bei den Haaren.
In diesem Moment aber klopfte es und herein trat:
Frau Schnepfe aus Basel. Sie war mit dem Frühzug her