Das Wort und das Bild.
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keit aufkommen lassen. ,Heraus ihr, aus den Gefängnissen!'
ruft Jesaias. Der Prophet wird gewußt haben, warum er gerade
die Gefangenen aufrief.
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Die Glocken von Magadino, Ronco, Ascona und Brissago
sind Spieluhren, die zierliche Melodien vortragen. Sie singen den
ganzen Tag ihre verträumte Weise. Die Berge und der See:
ein heroisches Stilleben, von silbrigen Flammen umzäunt.
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Man braucht nur direkt zu sein, nur das Innere zu veräußern, 13. VIII.
und man ist reif für allerhand Fürsorge. Das besagt, daß nur
die wenigsten Menschen es wagen dürfen, ihren tiefsten und
wahrsten Grund anzuerkennen und darzulegen. Welch einen Auf
wand von List und Klugheit verwendet jeder Einzelne auf die
Kontrolle und Unterdrückung der ihm beständig aufsteigenden
Launen, Grillen, Schrullen, Begierden und Eifersüchte. So erklären
sich alle Zerwürfnisse in Ehen, Vereinen und Geschäften, wo die
Menschen Vertrauen fassen und sich gehen lassen. Was wir unsere
eigenste, unsere Privatsache nennen, ist ein Gewimmel unein
gestandener Gesetzwidrigkeiten und Narreteidungen. Jeder prüfe
sich selbst, wie oft er in solchen privaten Stunden einen Freund
oder sogar einen nahen Verwandten beseitigt wissen möchte, des
geringsten Anlasses wegen. Es kommt dies daher, weil wir von
unserer Umgebung und überhaupt von den Dingen nur die Bilder
in uns haben, von denen wir gerne glauben, daß wir sie nach
Belieben versetzen oder auslöschen können. Die Bilder aber sind
die Dinge selbst, wenn auch die Dinge nicht nur Bilder sind. Mit
der steigenden Achtung vor der Sprache wird auch die Nicht
achtung des Menschenbildes fallen. Alle Verhaltenheit, worauf
die Moral meistens hinausläuft, nützt nicht viel. Die Kraft der
unterdrückten Bilder ist dadurch nicht beseitigt. Bei der Sprache
Ball, Die Flucht aus der Zeit. 8