Volltext: Die Flucht aus der Zeit

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Die Flucht zum Grunde. 
4. Eckart spricht von der bildlosen Anschauung Gottes im 
Seelenfünklein. Als ob das ,Seelenfünklein‘ kein Bild wäre; als 
ob man den Bildern entgehen könne, solange man selbst nur ein 
Bild ist. Wenn das mosaische Gesetz verbietet, sich ein Bild von 
Gott zu machen, so wohl nur deshalb, weil Gott selber ein Bild 
ist und weil man nicht mehr die ganze göttliche Person verehrt, 
wenn man sich menschlicherweise vom Bilde ein Bild macht. 
5. Weil der Mensch dem Bildhaften nicht zu entgehen vermag, 
deshalb führt alle Abstraktion als ein Versuch, ohne das Bild 
auszukommen, nur zu einer Verarmung, einer Verdünnung, einem 
Surrogat des Sprachprozesses. Die Abstraktion nährt den Hoch 
mut; sie läßt den Menschen gottgleich oder -ähnlich erscheinen 
(wenn auch nur in der Illusion). De facto schwächt sie seine 
Gottesnähe, seine Naivität, seinen Glauben; jene anheftende, an 
saugende Gewalt, die eine Voraussetzung aller Aufnahme und 
aller Hingabe ist. Wie Abstraktion und Bildung sich sollten zu 
sammenreimen, das ist schwer einzusehen. 
* 
VI. In den Abendstunden lesen wir „Lourdes“ von Zola. Die 
kleine Bernadette Soubirous gefällt uns sehr. Die Parade der 
monströsen, unwahrscheinlichen Krankheiten, der Triumphzug der 
Gebrechen, den Zola beschreibt, will mir seit Tagen nicht aus 
dem Kopf. In dieser abnormen Schaustellung von übernatürlichen 
Geschwüren und Geschwülsten humpelt, schlottert und gebrestet 
unsere ganze Zeit vorüber. Die Einfalt des visionären Kindes 
dagegen: welch eine Himmelsblüte! Sie hält die erscheinende 
Jungfrau stets nur für eine einfache vornehme Dame und frägt 
gar nicht danach, ob es denn wohl erhört sei, in einer feuchten 
Pyrenäengrotte solche Begegnungen zu haben.
	        
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