Die Kulisse.
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Das Fazit dieses Kampfes: Erasmus gelingt es, Melanchthon, das
trefflich’ Organon Lutheri wankend zu machen. Die Vorstellung,
daß Gott der Urheber auch der Sünde sei, wird Melanchthon
anstößig.
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Derselbe über den deutschen Volkscharakter (1525):
,Ja es wär von Nöten, daß ein solch wild, ungezogen Volk,
als die Deutschen sind, noch weniger Freiheit hätte, denn es
hat; es ist ein mutwillig, blutgierig Volk, die Deutschen, daß
man’s billig viel härter halten sollt'.
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Jedes Wort ist ein Wunsch oder eine Verwünschung. Man 25. XI.
muß sich hüten, Worte zu machen, wenn man einmal die Macht
des lebendigen Wortes erkannt hat.
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Das Geheimnis des Künstlers beruht in der Furcht und der
Ehrfurcht. Unsere Zeit hat daraus ein Erschrecken und ein Ent
setzen gemacht.
ö *
Menschen, die rasch und überstürzt erleben, verlieren leicht
die Kontrolle über ihre Eindrücke und erliegen unbewußten Af
fekten und Motiven. Das Betreiben irgendeiner Kunst (Malen,
Dichten, Komponieren) wird ihnen guttun, vorausgesetzt, daß sie
in ihren Sujets keiner Absicht, sondern der freien und fessel
losen Imagination folgen. Der selbsttätige Phantasieprozeß fördert
unfehlbar diejenigen Dinge wieder zutage, die die Bewußtseins
grenze unzergliedert überschritten haben. In einer Zeit wie der
unsern, in der die Menschen täglich von den ungeheuerlich
sten Dingen bestürmt werden, ohne sich über die Eindrücke
Rechenschaft geben zu können, in solcher Zeit wird das ästhe-