Böhmischen Schweiz, im Winter, sah ich die ewigen Gesetze der Natur. Ich erkannte, daß
nur restloses Erfassen dieser Gesetze Kunst sein könne. Seitdem male ich Abstraktionen. Am
5. 10. 1915 heiratete ich Helma Fischer und wohne seit der Zeit Hannover, Waldhausen
straße 5 II. Vom 12. März 1917 bis zum 19. Juni 1917 war ich Soldat beim R. I. R. 73 in
Hannover. Von der Zeit bis Beginn der Revolution war ich am Eisenwerk Wülfel im nächst-
liegenden praktischen Berufe als Maschinenzeichner beschäftigt. Dort gewann ich Liebe zum
Rade, erkannte auch Maschinen als Abstraktionen menschlichen Geistes. Seit dieser Zeit liebe
ich die Zusammenfassung von abstrakter Malerei und Maschine zum Gesamtkunstwerk. Ich
wandte mich an den Sturm mit der Bitte um Ausstellungsgelegenheit, denn ich h-tte erkannt,
daß der Sturm ausschließlich Kunstwerke ausstellt. Erste Sturmausstellung meiner Bilder im
Juni 1918. Nur abstrakte Oelgemälde. Reinkultur der Kunstgattung Oelmalerei. Ende 1918 er
kannte ich, daß alle Werte nur durch Beziehungen untereinander bestehen und daß Beschrän
kung auf ein Material einseitig und kleinlich sei. Aus dieser Erkenntnis formte ich Merz, zu
nächst als Summe einzelner Kunstgattungen, Merz-Malerei, Merz-Dichtung. Die Merz-Bühne
strebt fort von der Kunstgattung zur Verschmelzung im Gesamtkunstwerk. Mein letztes Streben
ist die Vereinigung von Kunst und Nichtkunst zum Merz-Gesamtweltbilde. Zitate in der
Dichtung, Kitschbilder als Teile von Gemälden, Aufnahme bewußt kitschiger und bewusst
schlechter Teile in das Kunstwerk usw.“
Bilder sind geistige Wesen, denn Kunst geschieht im Hirn. Auch Malerei. Das
stoffliche Gebilde erregt ein geistiges Erlebnis Bild. Doch nur im malerisch empfänglichen Men
schen. Ein bildhaftes Erlebnis kann ein Bild erregen. Doch nur im malerisch empfindlichen
Menschen. Maler werden vom Farbklang ergriffen. Im Bilde wird das mögliche geistige Er
lebnis wirklich. Im Bilde wird es Wirklichkeit. Anders ist es nicht möglich. Wirklichkeit Bild
ist noch nicht Wirkung Bild. Stoffliches bleibt Ausdrucksmittel. Aber alle stofflichen Mittel
könnnen Kunstwerke ermöglichen. Nur müssen sie wirklich wirksam gestaltet sein. Alle stoff
lichen Mittel können Farbform - Träger sein. Alle Stoffe haben Farbklang Alle Stoffe können
Bildklang werden. Kurt Schwitters hat ihn im Merz-Gebilde erwirkt.
Merz-Bilder sind Kunstgebilde aus unterschiedlichen Stoffen. Aufzählung aller mög
licher Stoffe bleibe Intellekten überlassen. Unterlassung solcher Abzählung ist Weg zum Wesen
eines Merzbildes. In ihm verlieren Bildteile stoffliche Bedeutung. In ihm gewinnen sie künst
lerische Beziehung. Erstens unter sich. Zweitens zum ganzen Gebilde. Drittens zu empfäng
lichen Hirnen. Sehende Augen spüren den Klang.
Macht aller Farbtöne.
Klang aller Formen kraft aller Linien.
Klang aller Formen kraft aller Farben.
Kräfte aller Farbformen.
Kraft aller Planformen.
Kraft aller Raumformen.
Klang aller Kräfte.
Spiel aller Klänge.
Merz-Kunst.
Zeichnungen sind Bilder in Schwarz-Weiß. Merz-Zeichnungen sind Merz-Bilder in
Schwarz-Weiß. In Merz-Bildern und Zeichnungen verliert Schrift begriffliche Bedeutung. In
Merz-Bildern und Zeichnungen ist Schrift formale Deutlichkeit, das graphische Mittel zur
Gestaltung einer Fläche. Zahlen und Buchstaben bleiben rein bildhaft. Ihre Begrifflichkeit
ist künstlerisch belanglos. An sich ist Schrift graphische Spur eines Wortklangs. Im
Merz-Bild wird Schrift wortloser Klang reiner Linien. Begriffliches wird ausgemerzt. Erlaubt
sei, was mißfällt. Erlaubt sei jedes Mittel. Erlebt sei jedes Kunstmittel. Das ist uns Freiheit
Kunst, die über Zweifel springt. Ursprung springt Kunst allein. Amen.
Otto Nebel