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wie reden immer noch von Belgien und der Verletzung seiner Neutralität,
immer nsch von den Greueln, die wir nicht begangen haben, von den Ein
wohnern, die wir nicht erschossen, Gefangenen, die wir nicht mißhandelt, Weibern,
die wir nicht geschändet haben, wir deklamieren, daß wir nur befestigte oder
im Bereich der Aktionen liegende Plätze aus Kanonen, Flugzeugen oder Luft
schiffen bewerfen und Kathedralen und Rathäuser nur dann zum Ziele nehmen,
wenn die feindlichen Operationen uns dazu zwingen, wir halten Reden darüber,
daß wir den Rrieg nicht gewollt und nicht begonnen haben, daß wir in der
Abwehr stehen gegen die Angriffe der Feinde, eine Abwehr, die nur militärisch
ein Angriff wurde.
Dies alles und vieles andere noch tun wie nicht nur an Biertischen und
in Kaffeehäusern kund, nicht nur auf vaterländischen Veranstaltungen und in
Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und Büchern, wir haben auch besondere
Einrichtungen getroffen, vermöge deren wir dem Ausland unser Denken un
mittelbar mitzuteilen hoffen.
warum eigentlich diese große Rechtfertigung? Denn nichts anderes ist
es, als daß wir uns immer wieder zu rechtfertigen suchen, warum diese Recht
fertigung 7 Einige meinen, vor dem Forum der Menschlichkeit schlage uns das
Gewissen. Könnten wir uns aber nicht damit beruhigen, daß wir das Recht
haben, unseren Feinden vorzuwerfen, daß, falls wir das alles getan haben
sollten (was wir bestreiten müssen), sie selbst das Gleiche getan haben, da sie
alle vielerlei Barbarei begangen, die Engländer dazu noch lügnerischer Heuche
leien, die Franzosen schamlosester Hetzereien sich schuldig gemacht haben 7 warum
also unsere Rechtfertigung 7 Vor wem wollen wir uns moralisch verteidigen 7
wenn nicht vor unseren Feinden, so vielleicht vor den Neutralen, deren
Behuf die Wahrung der Menschlichkeit sein soll, wie etliche sagen. Zweifellos
kann sie das sein. Es ist der Fall denkbar, daß ein neutraler Staat die Auto
rität hat, im Namen der Menschlichkeit, soweit wir diesen Begriff in einer
Zeit des Eisens noch kennen, Recht zu sprechen über die Art, wie dieser Rrieg
geführt wird, welchem neutralen Staat aber möchten wir heute dies Recht
zuerkennen, wo doch keiner dieses Rechtes wert ist, wo sie doch alle ihre würde
dahingegeben haben aus Furcht, auch ihnen könne, politisch oder wirtschaftlich,
irgend etwas geschehen. Da sie alle es vorgezogen haben, mit den Verhält
nissen sich irgendwie abzufinden, und keiner ein offenes Wort, ein Wort nach
dem Herzen wagt und alle sich hinter einem blutleeren Begriff von Neutralität
verschanzen, der in Wahrheit alles andere ist, nämlich ein Lavieren von Tag
zu Tag und im besten Fall ein Kompendium offizieller und offiziöser Berichte
aller Rriegführenden: wie kann da einer von ihnen noch das Ansehen haben,
das derjenige haben muß, der Recht sprechen will 7 Da man sich abgefunden hat,
hat man auf Meinung verzichtet. Man ist mitten durchgebrochen und, heillos
krank, verbeugt man sich dorthin, wo man, wenn man ehrlich wäre, sich schämen
würde, Reverenz zu machen. Dieser Gesellschaft Ohren wollen wir uns erbitten?