m
Gottfried. Unsere Welt ist ein weg. Der weg ist unendlich. Dennoch
gehen wir ihn.
Clemens, wer zeigt uns, daß wir den richtigen weg gehen?
Gottfried. Die Idee selbst. Sie ist „Zeichen ihrer selbst und des Falschen".
Von ihr aus verstehen wir unmittelbar, was wir sollen und was wir sind.
Nur indem wir das Blutopfer der Nationen im Lichte der Idee, auf dem
Wege zu ihr und doch in seiner unendlichen Ferne von ihr erkennen, lernen wir
den Rrieg in seinem Leid und seiner Größe, in seiner Schuld und seiner Sühne
verstehen. Und dies ist die Sehnsucht und die Pflicht des Geistes. Der Geist
geht unserer Wirklichkeit voran und wirft die Schatten, die wir erfüllen sollen.
Jede höhere Stufe, die uns heute nur mit der Ueberwindung des menschlichen
Wesens selbst erreichbar scheint, ist dadurch, daß wir sie erblicken, begreifen
können, im Leben des Geistes in jedem Augenblick erreicht. Für den Geist gibt
es heute keine Stationen mehr: mit der Zeit der nationalen Götter ist diese
Stufe überwunden. Dort wo auch der Geist nicht hingelangt, jenseits des Ab
grundes in der reinen Idee, ist Gott. In ihm setzt der Geist sich seine Grenze
und in ihm zugleich schaut er sich, wie er sein soll. Gott ist die Idee des
Geistes selbst, wo Ein Gort ist, da ist Ein Geist.
Der Geist zeichnet fliegend den weg, den die lebendige Liebe schwer durch
Blut und Tränen wandelt. Darum ist das, was im Reich der empirischen
Wirklichkeit ein noch notwendiges Geschehen, eine dunkle schmerzhafte Erfüllung
des Wachstums- und Entwicklungsgesetzes ist, im Reich des Geistes Todsünde,
wer hier nicht rein scheidet, wer durch die Leidenschaft, die das Geschehen
auslöst, verblendet, im Reich des Geistes die Scheidewand des Hasses zwischen
den Völkern auftürmen hilft, der ist ausgelöscht aus dem Buch der Lebendigen
des Geistes. Denn er hat den Einen wahrhaftigen Gott, er hat die Idee des
Geistes: das Nicht-Andere verraten um des Anderen, um nationaler Götter
und Götzen willen. Er hat verworrenen Gebilden einen Teil seines Lebens dar
gebracht, das er ganz und unverkürzt dem Einen schuldet, das über unserm
Leben voll Schuld und weh, voll Haß und Entzweiung, in dem das Opfer
noch heute die einzige blutige Versöhnung ist, als der ewige Friede selber
leuchtet, dem alles Blut und alle Tränen dieser Zeit dargebracht werden.
Margarete Susman