Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

olitisierer, die sich so wichtig nehmen, wie man sie nicht nimmt, 
diskutieren in Zeitungen den künftigen Frieden in einer grund 
sätzlich irrigen weise. Hat ein Arzt eine Familie glücklich tot 
kuriert, so wird sich der Leytüderlebende meist um einen andern 
Arzt umsehen. Das ist aber nicht die Meinung jener politisierer, 
die sich und ihresgleichen wie vor so nach dem Rriege als die selbstverständlich 
mit sich, ihren Anschauungen und Institutionen als allein in Betracht kommend 
halten, die Geschichte wieder einzurenken, die sie mit so glücklicher Hand aus 
gerenkt haben. Merken die Herren denn nicht, daß sie selber ihr ganzes Hand 
werkszeug zerbrochen haben? Frieden — das heißt und ist Vertrag, wer 
lacht heute nicht bei dem Wort in Erinnerung an all das Vertragliche, das 
vor dem Rrieg war? Völkerrecht — welche „Völker" haben denn das, was 
man offiziell so nennt, wirklich bestimmt und ausgemacht? Neutralität — wer 
hat das denn garantiert? Der neutrale Papst nicht, sondern Staaten, die nie 
daran dachten, selber neutral zu bleiben, sondern rüsteten. So garantiert der 
bewaffnete Meyger dem Schafe, daß er ihm nichts tun werde, solange er das 
Ralb schlachtet. So läßt sich also das Schaf Bajonnette wachsen. Glaubt 
man wirklich, daß Regierungen, die gerade in praxi erklärt haben, daß es 
Verträge nicht gibt, die Garanten eines neuen Vertrages fein können, als 
welcher der Friede ist? Rönnte man ihnen das Augurenlächeln verdenken, wenn 
sie zu der historischen Rielfeder greifen, um — a scrap of paper zu unterzeichnen? 
Geht diesem Schlußakte nicht eine innerpolitische Änderung der Verfassungen 
voraus, welche Änderung allein zu mindest die Hoffnung aufkommen läßt, 
daß sie sicherere Garantien des Friedens sind, dann bleibt nichts anderes übrig, 
als das, was man da abschließt, einen Waffenstillstand zu nennen; dann weiß 
jeder wenigstens wie er dran ist, und der heilige Begriff des Vertrages kann 
sich, in Ruhe gelassen, von seinen Wunden erholen. Man diskutiere also besser 
den Frieden nicht, sondern wer von Gott das Recht hat, die Unverletzlichkeit 
der Verträge zu schützen. Diskutiere, ob Verträge überhaupt möglich sind, wo 
Waffen die ständige Drohung der Gewalt als ultima ratio sind, so sehr, daß 
sogar „neutrale" Staaten wie die Schweiz 200,000 Soldaten auf piket stellen, 
weil das Schaf den Worten des Metzgers nicht traut. 
Franz Blei 
J$5
	        
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