Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

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h lese jetzt regelmäßig französische Zeitungen. Vom 
Matin, den ich schon vor dem Kriege verachtet habe, will 
ich nicht reden, sondern nur von Figaro und Temps, deren 
Weltmacht wir nichts an die Seite zu seyen haben. 
Sie sprechen von den Deutschen nicht in den Schimpf 
worten wie die Boulevardpresse: sie sagen nicht einmal 
1s8 6oLke8, sondern ganz korrekt les^IIemanäs. Aber trotz 
dem ist jede Zeile vergiftet von dem gequälten Verlangen, » 
den Namen des Feindes mit einem Grauen zu umgeben, mit einem Entsetzen, 
wie es bisweilen in Rindern erzeugt wird, wenn sie durch heimlich gelesene 
Bücher oder durch belauschte Gespräche zu erfahren glauben, daß es auf dem 
Grund der Seele unaussprechliche Ungeheuerlichkeiten gibt. 
Als Novelle deutsche Greuel im Bericht einer Augenzeugin, die dabei naiv 
genug ist, zu erklären: „Es war in einem Dorf, dessen Namen ich nicht mehr weiß, 
aber dort unten wird Ihnen jeder sagen, wo es geschah, daß die Deutschen ..." 
Heute ein Dank- und Huldigungsschreiben eines elsässiischen Knaben aus 
dem Thanner Tal an den Präsidenten der Republik nebst dem Antwortschreiben 
des Präsidenten der Republik an den Knaben im Thanner Tal — das Entzücken 
aller Salons der Welt, denen bewiesen wird, daß die alte französische Eleganz 
noch nicht gestorben ist; morgen ein neuer Brief des Herrn Saint-Saens, der, 
Ende Dezember, noch immer ruhig behauptet, der französische Pavillon in 
Leipzig sei zerstört worden. 
* * 
* 
Meine deutsche Zeitung setzte mir an drei Abenden hintereinander fol 
gende Aufsätze vor. 
Montag: Herr X., Geheimrat und Exzellenz, hält es für unerträglich, daß 
nach dem Kriege die alten internationalen Beziehungen wieder angeknüpft werden, 
weder sollen auf Kongressen die staatlichen Kommissare miteinander verkehren, 
noch auf Ausstellungen Franzosen hängen, noch wissenschaftliche Tagungen statt 
finden. warum? Unsre würde und unser Haß verbieten es uns — keine 
Gemeinsamkeit mehr, wir sind uns selbst gut genug. 
Dienstag: Pfarrer R. stellt im ersten Teil seines Artikels die Frage: darf 
der Christ feine Feinde hassen? Nein, der Christ darf feine Feinde nicht hassen. 
Andererseits aber, Teil zwei: darf der deutsche Christ die Engländer hassen? 
Ja, England darf er hassen. Diese Ausnahme erlaubt uns der liebe Gort, weil 
wir es sind. 
Mittwoch: Ein Oberlehrer spricht — ja, wovon doch? Ich weiß es nicht 
mehr, ich weiß es nur, daß er am Anfang Fichte und Iahn beschwor. 
Glauben Sie, es sei mir nach der Lektüre der französischen Blätter eine 
Erholung, nach den deutschen zugreifen? wenn Professor D. in S. den Vor 
schlag macht, statt Vandalismus künftig Gallizismus zu sagen — wiegt das
	        
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