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h lese jetzt regelmäßig französische Zeitungen. Vom
Matin, den ich schon vor dem Kriege verachtet habe, will
ich nicht reden, sondern nur von Figaro und Temps, deren
Weltmacht wir nichts an die Seite zu seyen haben.
Sie sprechen von den Deutschen nicht in den Schimpf
worten wie die Boulevardpresse: sie sagen nicht einmal
1s8 6oLke8, sondern ganz korrekt les^IIemanäs. Aber trotz
dem ist jede Zeile vergiftet von dem gequälten Verlangen, »
den Namen des Feindes mit einem Grauen zu umgeben, mit einem Entsetzen,
wie es bisweilen in Rindern erzeugt wird, wenn sie durch heimlich gelesene
Bücher oder durch belauschte Gespräche zu erfahren glauben, daß es auf dem
Grund der Seele unaussprechliche Ungeheuerlichkeiten gibt.
Als Novelle deutsche Greuel im Bericht einer Augenzeugin, die dabei naiv
genug ist, zu erklären: „Es war in einem Dorf, dessen Namen ich nicht mehr weiß,
aber dort unten wird Ihnen jeder sagen, wo es geschah, daß die Deutschen ..."
Heute ein Dank- und Huldigungsschreiben eines elsässiischen Knaben aus
dem Thanner Tal an den Präsidenten der Republik nebst dem Antwortschreiben
des Präsidenten der Republik an den Knaben im Thanner Tal — das Entzücken
aller Salons der Welt, denen bewiesen wird, daß die alte französische Eleganz
noch nicht gestorben ist; morgen ein neuer Brief des Herrn Saint-Saens, der,
Ende Dezember, noch immer ruhig behauptet, der französische Pavillon in
Leipzig sei zerstört worden.
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Meine deutsche Zeitung setzte mir an drei Abenden hintereinander fol
gende Aufsätze vor.
Montag: Herr X., Geheimrat und Exzellenz, hält es für unerträglich, daß
nach dem Kriege die alten internationalen Beziehungen wieder angeknüpft werden,
weder sollen auf Kongressen die staatlichen Kommissare miteinander verkehren,
noch auf Ausstellungen Franzosen hängen, noch wissenschaftliche Tagungen statt
finden. warum? Unsre würde und unser Haß verbieten es uns — keine
Gemeinsamkeit mehr, wir sind uns selbst gut genug.
Dienstag: Pfarrer R. stellt im ersten Teil seines Artikels die Frage: darf
der Christ feine Feinde hassen? Nein, der Christ darf feine Feinde nicht hassen.
Andererseits aber, Teil zwei: darf der deutsche Christ die Engländer hassen?
Ja, England darf er hassen. Diese Ausnahme erlaubt uns der liebe Gort, weil
wir es sind.
Mittwoch: Ein Oberlehrer spricht — ja, wovon doch? Ich weiß es nicht
mehr, ich weiß es nur, daß er am Anfang Fichte und Iahn beschwor.
Glauben Sie, es sei mir nach der Lektüre der französischen Blätter eine
Erholung, nach den deutschen zugreifen? wenn Professor D. in S. den Vor
schlag macht, statt Vandalismus künftig Gallizismus zu sagen — wiegt das