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er Vorwurf, den man gegen unsere neueren Künstler ebenso
oft wie gedankenlos erhebt, sie feien nicht „national",
weil sie in pari» studierten, ist dumm! Aber nicht viel
gescheiter ist es, wenn man diesen dummen Vorwurf
pariert durch die Behauptung, die Künstler hätten ein
Recht zum Studium der fremden Runst, denn die „Kunst
sei international". In Wahrheit handelt es sich gar nicht
um einen Gegensatz von „national" und „international",
sondern um etwas ganz anderes. Der Künstler ist weder „national", noch
„international", sondern egoistisch! Er kennt zu der Zeit, da ein Werk in ihm
entsteht, nur das reine Interesse dieses Werkes, so wie eine Mutter in jeder
Not nur an das Interesse des Kindes denkt. Ist die deutsche Mutter, die ein
gefährdetes Rind nach Davos führt, „national" — und ist sie „international"
oder „antinational", wenn -sie mit ihm nach Aegypten reist, weil die ägyptische
Luft für seine — deutsche! — Lunge die Rettung ist?
wenn man doch die Runst nicht immer und ewig so eng-materialistisch
betrachtete! Dem Banausen ist die Runst ein „Inhalt", das Entstehen eines
Kunstwerkes ist ihm das Aufnehmen eines Inhaltes. Geht also ein deutscher
Künstler nach Paris, so wird er einen französischen Inhalt aufnehmen — wozu
ginge er sonst nach Paris? — und sein Bild wird französisch werden.
Ob es einmal möglich fein wird, soviel Blindheit sehend zu machen?
In einem Künstler entsteht ein Werk, nehmen wir an, es sei ein Werk,
das in seinem Wesen ganz typisch deutsch ist, nehmen wir sogar an, es sei
typisch deutsch selbst im Sinne des Banausen. Das Wachstum dieses Werkes
braucht Licht und Luft, und die Schaffenslust des Künstlers benötigt Wärme,
eine beschwingte Atmosphäre, den Wechsel der umgebenden Menschen und das
Glück der Befreiung vom Gewohnten, wenn der Künstler nach Paris fährt,
so ist ihm dabei höchst gleichgültig, daß dieses Paris die Hauptstadt Frankreichs
ist, für ihn ist es nur wichtig, daß, aus welchen klimatischen, geographischen
und atmosphärischen Ursachen immer, dieser Punkt der schnell erreichbaren
Erde die Luft besitzt, in der sein Werk am besten „werden" kann. (Dabei kann
er der geborene Franzosenfreffer sein.)
Gewöhnen wie uns doch endlich, diese Dinge mehr physiologisch zu betrachten.
Das ist das einzig „Natürliche".
Ein Beispiel sei angeführt:
warum gingen die — gewiß sehr deutschen! — Spitzweg, Krüger, Wald
müller, Rayski in der ersten Hälfte des IS. Jahrhunderts nach Paris? weil
durch Delacroix dort schon ein Loch geschlagen war in die Mauern des starren
Akademizismus, die zur gleichen Zeit in Deutschland noch immer dumpf und
unerschüttert standen. Die freie Luft im Westen zog jene Revolutionäre aus
Deutschland an. waren sie deshalb anti- oder auch nur international? Sollten
sie in Deutschland bleiben auf die Gefahr hin, daß ihr — doch deutsches! —
Schaffen hier verdorrte? Sie gingen aus egoistischen Gründen, um ihr Schaffen
zu retten, nach Paris und haben damit der deutschen Runst besser gedient, als
wenn sie in der Heimat geblieben wären.
Adolf Behne