»V Nachdem sie alles bei uns gelernt haben, wenden sie das Gelernte gegen
uns an" — haben die Japaner, von denen das gesagt wird, wirklich alles
vsn uns gelernt? Ihre Indifferenz dem Tode gegenüber schließt nicht not
wendig die Fähigkeit ein, die viel schwereren Lasten des Lebens zu tragen.
Ein Staatswescn konstituiert sich heute nicht mehr auf ritterliche Tapferkeit
allein, wie in Europa höchstens noch die Polen glauben, die kein eigenes Staats-
wesen haben. Man gibt der Tapferkeit gern den Lorbeer, ohne daß dieser
uns verpflichtet, die Fehler des japanischen Menschen deshalb zu übersehen,
weil er leicht zu sterben bereit ist. Zu sterben für den als göttlich angesehenen
Mikado, nicht aus dem Rantischen Imperativ heraus. Selbst ein so neu-
modischer Verehrer des alten Japan, wie der japanische Lektor an der Berliner
Universität, gibt zu, daß das Buschido als moralische Basis nicht mehr genügt
und daß eine Rekonstruktion dringend nötig ist. Und hier liegt der Zwiespalt
der heutigen japanischen Existenz: Japan konnte von Europa das wesentliche
nicht lernen. Es hat sich, als es unser europäisches Erlernbares sich aneignete,
einer auflösenden Rraft ausgesetzt, welche die Grundlagen seines politischen
Gebäudes einmal erschüttern muß. Es wird eine Zeit kommen, wo Japan seine
naive und unbekümmerte Haltung den tiefen Problemen gegenüber wird auf
geben müssen, für die wir in Europa unser Bestes gaben und geben. Unsere
europäische Zivilisation ist bis in die Propellerschraube eines Luftschiffes hinein
eine religiöse, eine christliche, und das heißt hoffnungsreiche — Japan, dessen
religiös pessimistische Einstellung Stagnation ist, nimmt und akzeptiert unsere
Zivilisation rein intellektuell und führt ihr auch nur Intellektuelles zu, und
gibt, was wir dem Glauben an Gott geben, einem Glauben an den vernünf
tigen Staat, macht aus dem Staat das beherrschende Faktum menschlichen
Gewissens. Das Experiment Japans ist sehr interessant und lehrreich für uns,
aber ohne Zukunft für Japan. Intuitiv erkannten die Japaner als das ein
zige Mittel, die europäischen Eindringlinge abzuwehren, die Aneignung euro
päischen Wissens. Aber was erst nur Mittel zur Abwehr sein sollte, wurde
enthusiastische Annahme, Aufnahme der europäischen Ideen und Methoden.
Es wird mit den metaphysischen Voraussetzungen dieser Methoden und Ideen
in einen Ronflikt kommen, den es nicht lösen kann, weil Asien nicht Europa
ist. Und der Europa voraussetzende und beherrschende Gedanke ist der christ
liche: Herrschaft über die materielle Welt, die man nicht liebt, wie es noch der
antike Geist tat, der sie in Stabilitäten mythologisierte, und die man nicht
liebt, weil man die geistige Welt liebt und aspiriert. Den Motor zu erfinden,
das ist durchaus nicht „krasser Materialismus", wie eine falsche Romantik
meint, sondern ist vom Christentum geweckter und genährter Geist.
Franz Blei.