Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

Wesen die Gestalten, wie in dem lS<)7 aufgeführten Kuriosum „Sphinx und 
Strohmann", birgt sich im geistigen Spuk, in der burlesken Verzerrung immer 
noch pippahaft-tiefes. In „Mörderhoffnung der Frauen" naht uns wede- 
kinds Jack der Auffchliyer als Menschenauffchlitzer, als „Held" schlechthin, als 
Zertrümmerer der Schwachen. Ich nenne da wedekind nur als Anrainer, 
denn Kokoschka konzentrierte, preßte hier, in herber, eigenwilliger Sprache 
Worte und Gedanken eigenster Fechsung für ein künftiges Rapidtheater 
szenisch zusammen. Er ist, wie wedekind, in letzter Linie ein arger Moralist 
— also wird sein „Schauspiel" von der im Krieg und Frieden gleich unver 
ständigen wiener Zensur verboten. Die Aufführung eines ideell und dichterisch 
hochstehenden Werkes ward aus Sittlichkeitsgründen inhibiert, es war gewiß 
„unsittlich", daß eine in ein Laken gehüllte Frau darin keusch sprach: „Mann im 
Mond — dreh' dich um, schau nicht her." 
Hoffentlich war dieses Verbot letzter Nachhall einer Verfolgung durch 
Kritik und Publikum — die Zensur repräsentiert beides am dümmsten —, deren 
sich der nun siebenundzwanzigjährige Kokoschka von Anbeginn zu erfreuen hatte. 
Schon die Schulbehörden konnten ihn, anfangs den Schüler, später den „aka 
demischen Lehrer Oskar Kokoschka nicht leiden. Grund zur Furcht hatten ja 
hinlänglich alle Philister, die in Wien das Malhandwerk systematisch ausüben, 
indem sie abwechselnd Straßentypen, Venezianerinnen und ähnliche Stilleben 
in einer ewig gleich unbewegten weise malen. 
Kokoschka hat mit diesen Durchschnittspinseln nicht einmal die Farbe 
gemein, welche die Farblosigkeit der Reproduktionen zu zeigen vermag. 
Er ist kein Fleischhacker, sondern ein Seelenaufschlitzer, er legt, Hand und 
Kopf malend, in einer gespenstischen weise das geistige Skelett der von ihm por 
trätierten bloß. Diese Art von psychotomie läßt sich am besten angesichts der 
Kokoschkamappe studieren, die der Verlag des „Sturm" (Berlin) jüngst herausgab. 
Mit wenigen, aber desto charakteristischeren Strichen sind da beispielsweise Adolf 
Loos, Herwarth Waiden, Paul Scheerbart, Richard Dehmel, Alfred Kerr, die 
als Gouvernante aufgefaßte Ivette Guilbert dem ewigen Leben und Tode des 
Erkanntseins geweiht! Andere der zwanzig Zeichnungen dieses verheißungs 
vollsten unter den deutschen Malern mögen dem Nichtkenner Vexierbilder 
scheinen, sie sind Wunder graphischer Charakteristik. In ein dunkles Land 
führen uns die acht Lithographien, die Oskar Kokoschka einer prächtig gedruck 
ten Luxusausgabe, der herrlichen „Chinesischen Mauer" des Karl Kraus 
(Kurt wolff, Leipzig) beigab. Hier wird und wirkt jede Bewegung geheimnis 
voller, alles ist tiefer im Metaphysischen verkettet, und in einem Format, wie 
es etwa die (Quadern der chinesischen Mauern besitzen dürften, ist hier auf 
gezeichnet, was als ebenbürtige Illustration prophetisch-apokalyptischer Ur- 
worte gelten wird. Das Weib auf dem Menschentier, Hundeschnauzen, Chinesen- 
mäuler drängen sich uns aus der Nacht der Zukunft auf: hinter ihrer wand, 
die Europas Liebende verbirgt, lauert schon der chinesische Bombenwerfer.
	        
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