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Da brach der Rrieg an.
Und plötzlich erschien Deutschland wie ver
wandelt. Seine Stärke war wild, maßlos,
sündig. Sein ganzer Stolz ging dahin, eine
wohlbedachte Gewaltherrschaft zu errichten. ES
ward zur Geißel, gegen die man sich verteidigen
muß, damit das hochsinnige Leben auf Erde»
nicht untergehe.
Für den Verfasser dieses Buchs war keine Ent
täuschung größer und unvorhergesehener als
diese. Sie traf ihn so sehr, daß er seines früheren
Selbst ungewiß zu werden begann.
Und weil heute in diesem Zustande des Hasses,
der ihn umfängt, ihm feine Bewußtheit wie
getrübt vorkommt, so widmet er die nachfolgen
den Seiten, voll Erschütterung, dem Manne,
der er vormals war." M.
ArturHolitscher:InEngland,Ost
preußen, Südöfterreich. (S. Fischer.)
Die Technik, mit der dies Buch gemacht ist,
kommt aus der Freilichtschule. Es handelt sich
also darum, die Gegenstände in Licht zu rauchen,
Bewegung im Fluge aufzufangen, Gesicht und
Linie und Ding in die eindimensionale klare
Fläche einer verwirrenden SchaufüUe zu bringen.
Dieses Verfahren, das vom Auge dirigiert wird,
beherrscht Holitscher heute wie wenige. Das
Gewühl um die Nelsonsäule zu London am
Tage wo der Rrieg eine beschlossene Sache ist,
dieses Gedränge von Staub, Lärm, entfesselten
Menschcngcsichtern malt er mir einer Bravour,
die den entzücken muß, der in der treffenden
Wiedergabe des Realen Aufgabe und Ziel des
Rünstlers sieht. Die persönliche Denkweise
Holitfchers drängt sich hie und da mit einem
philophifchen Urteil herein, welches dem Stoff
lichen eine Art Abrundung geben möchte, die
dasselbe aber garnicht bedarf, weil die Gestaltung
selber so kräftig arbeitet und das Thema durch
sie vollständig bewältigt, oder besser: erledigt
wird. In diesem „Erledigen" — auch eine Teich
landschaft von SiSleyS Pinsel gemalt, ist hier
mit „erledigt" — liegt, was das unendliche Aus
sagen des Expressionismus von diesem auf um-
risscite Anschaulichkeit gestellten Impressionis
mus unterscheidet. M.
Emil Ludwig: Die Fahrten der
Emden und der Ayesha. (S.Fischer.)
was v. Mücke, die Offiziere und die Matrosen
Ferrit E. Ludwig erzählt haben, mag ohne den
Schatten einer Unwahrheit wiedergegeben sein.
Sie erzählten wenig genug; es sind wortkarge
Seeleute; wie soll man da Irrtümliches auf
schreiben? Trotzdem geschah'-. Es geschah, weil
Herr E. Ludwig durchaus ein Thema persön
licher Urteile, Einstellungen, Psychologismen aus
dem so Schlicht-Gegebenen machen wollte. Nun
wird alles schief, sentimental, romanhaft; und
mehr als von seinen Helden wird man des Ver
fassers gewahr, der ihr Gegenfüßler, d. i. ein
Menschen-fchmarotzendcr Literat ist. F.
Theodor Däubler: Der sternhelle
^)eg.(Hellerauer-Verlag.)Ein halbes
I«hr vor diesem Bande erschien das Gedicht
buch „Hcfperien", wieder ein halbes Iahr vor
her die Prosastücke „wir wolleit nicht verweilen".
2llledrei im Rrieg herausgebrachten Bücher haben
trotzdem nichts mit diesem gemein. Rein Hin
weis erinnert daran. Auch ohne ihn wären sie
erschienen. Und daß es das gibt, daß ein Rünstler
nicht von der Zeit abgedrängt, von ihr ver
krüppelt oder je nachdem „befruchtet"wird, diese
Ienseirigkeit, dieses bedingungslose Schöpfer
tum an Däubler zu sehen, ist, wie sehr! be
glückend.
wer er ist, müßte, denke ich, diese- jüngste Buch
endlich für alle feststellen. Leichter als sonst
machen es hier die Gegenstände, sich einzulesen.
Die drei Sonette von den „Bäumen", die Ge-
dichte„Herbst" oder „Herkunft" oder„Erklärung"
sind zugänglich wie nur ähnliches vom alten
Uhland oder Nikolaus Lenau. Schlägt also
die Stunde, wo Däublcrs Name als ein Losungs
wort, eine Richtung, ein Protest endlich den
Offiziellen geläufig wird? Ach, nicht unpassender
konnte er den Augenblick wählen. Denn wer
bemerkt, will es heute bemerken, daß hier ein
ebenso wichtiges vorgeht wie an den geographi
schen,Schützengraben-gefülltenRändern Deutsch
lands? Sie glauben ja bloß den patriotischen
Reimeschmiedcn, sie glauben dem„Männer"stand-
punkt, sie glauben denen, für die unweigerlich
sich Vaterland und Feuilleton ergänzt. Selbige
sind die Helden — jene anderen benehmen sich
würdelos. Die Sieger werden freilich gerade
diese würdelosen sein, weil der Rrieg in ihrem
Dienste handelt, weil der Rrieg, nur mit anderen
Mitteln, die europäische Sensibilität zu ihren
Gunsten umpflügt, weil zwischen dem neu
förmigen Schaffen und diesem Naturereignis
die handgreiflichste kulturelle Verkettung besteht.