Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

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stimmen soll, gehen selten über die aktuelle Bedürfnisfrage hinaus — was ich nicht 
nur begreife, sondern billige. Denn die Voraussetzung einer Propaganda för 
eine große 2dee ist das 2ntereste für die Lebenshaltung überhaupt, sodann die 
möglichst baldige, die möglichst sichere, die möglichst bedeutende Hebung der mate 
riellen Lebenshaltung von Menschen, an deren Geistigkeit man appelliert. 
Der Parteisekretär, der in Wahlversammlungen spricht, pflegt es materiell 
um vieles bester jn haben, als die Menschen, die ihm Ohr und Her; öffnen. 
Leidet die 2dee darunter? Manchmal, und dann haben wir es mit 
plattester Demagogieju tun. Sonst finden wir uns mit der Technik der polltifchen 
Arbeit ab, die, durch dick und dünn, ;ur 2dee hinstrebt, die es jn erkämpfen gilt 
mit den Mitteln, für die die Maste (mit Recht) in erster Linie empfängllch ist. 
Tine Politik des Geistes wird sich derselben Mittel bedienen müsten» wie 
etwa eine landschaftlich beschränkte Kartoffelpolitik. Sodaß, im Grund, die 
Demokratie als politische Einrichtung ebenso aristokratisch wäre, wie eine Aristo 
kratie, die sich gegen sie wehrt. Auf den erreichten Gipfeln stellt sich der Sinn 
des politischen Kampfes ein, der Weg hinauf kann im besten Zoll nur der gleiche 
sein für alle Parteien. Schlußfolgerung: es muß immer wieder und gerade 
jetzt gewarnt werden vor sentimentalen 2ndividnalismen» vor Programmen und 
Manifesten, die schöne richtige Worte enthalten, Worte, wenn nicht der 
politische Apparat für sie arbeitet. Die Verfasser müsten sich in den bestehenden 
Apparat eingliedern (wenn sie nicht ein neues, wirksames Hebelwerk schaffen» 
wozu die Anstrengung einiger Generationen gehört), müsten den Apparat selbst 
gelenkig bedienen und kontrollieren. Politische 2deale haben wir seit hundert 
2ahren, so prachtvolle, wie sie nur sein können. Verwirklichungen lasten ans 
sich warten. Die politische Maschine hat immer und überall die politischen 
2deale zerrieben. Unsere politische Tragödie. Die Redner der Zrankfurter 
Panlskirche wären große Politiker gewesen, wenn sie etwa Bismarck und seine 
politische Wistenschaft auf ihrer Seite gehabt hätten. Sie hatten sie gegen sich, 
und die Geschichte machte sie zu Rhetoren. 
Der kraste Dilettantismus in politischen Dingen bei uns ist haarsträubend. 
Die „geistigen Führer" des Volkes schreien nach polltischer Erziehung — aber sie 
haben, mit dem Korrespondenten eines großen deutschen Blattes in Paris, die 
dortigen Radikalsozialifien für radikale Sozialisten gehalten, während die franzö 
sischen Radikalsozialisten in Wirklichkeit etwa unseren Zreistnnigen entsprechen, und 
sehen heute noch in Eaillanx den französischen Deutschenfreund, obwohl jeder 
mann in Frankreich weiß, daß er, wenn überhaupt etwas, nichts anderes vermag, 
als für die Ouerrv ä outrance eintreten. Auf anderen Gebieten ist es nicht 
bester. 2ch führe absichtlich nur „Kleinigkeiten" an. 
„Politische Erziehung?" 
Es wäre Zeit, ernsthaft damit anzufangen. Die Zensur böte die beste 
Gelegenheit dazu, wenigstens in Angelegenheiten der auswärtigen Politik.
	        
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