Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

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Bekenntnis — nicht „Aeußerung" soll während einer Zeit allzuvieler Aeußerung 
in diesen Blättern ein Archiv finden, wie in den heimlich kostbaren Truhen der 
chinesischen Geschichtsschreiber, die dann von späterer Generation aufgetan 
werden. So könnte es Mißverständnis scheinen, wiederum von objektivem 
Geschehen statt von innerem Erleben zu sprechen, wenn es nicht ein höheres 
Bekenntnis gäbe als das seelische — das kosmische Bekenntnis, darin das Fernste 
in heiße Nähe gewandelt und das Selbst für einen unendlichen Augenblick, jeder 
Bürgerlichkeit ledig, sich von der eifekältesten Objektivität nicht zu scheiden vermag. 
So ist kein Wort hier „politisch" gemeint. 
Der Nüchterne — also der vom vordersten Vordergrund in Wahrheit 
völlig Betrunkene — sieht diesen Krieg: eine Störung von sieben Monaten, 
nach der „Handel und Wandel wieder blüht", durch Ethik veredelte Störung. 
Aber das tausendjährige Reich des Krieges schaut, wem der Vordergrunds 
Lärm so klein ward, daß er sich da vorn freilich wie ein Narr gebaren mag. 
Der „Nüchterne" fragt nur: wer hat Schuld? wer fing an? was nehmen wir 
uns? wie lange dauert es? Das sind dieselben Leute, die vor dem Werk des 
Künstlers fragen: wie hat er das gemacht? Ja das ist ja gleich, wie der Krieg 
gemacht ist, ob vom Herrgott selbst oder von den Großbanken — wer aber 
recht närrisch lebt im Kausalen, fest und recht aber steht in den ewigen Realitäten, 
der betet jeden Morgen in der Frühe: Ungeheuer ist der Krieg auf Erden. 
Und zerreißt so das Rausalfädchcn. wie wenig „Ursache und Wirkung" — 
wieviel Knochenmark ist in diesem Krieg! Ein anderes wäre die tief occulte 
Ursache. So wie man berichtet, daß die Titanic zuwenigst vom Eisberg in die 
Tiefe gezogen ist, aber von einem verruchten Diamanten an Bord in des reichen 
Amerikaners Besitz, ein Stein aus Marie Antoinettes Geschmeide, der seit Jahr 
hunderten jedem Besitzer den Tod brachte. Das ist causa höherer Ordnung, 
die geheime Zauberzercmonie über dem Krieg. 
Also ist der Krieg nicht ein noch so starkes Etwas, das unter uns trat, 
alles greifbare Etwas — daß Männer sich töten, Häuser brennen — das ist 
noch nicht Herr Krieg selbst. Auch das ist noch brüllender Vordergrund, ja, 
es ist ein ganz anderes noch, es ist das apokalyptische Zeichen, durch das 
sich das tausendjährige Reich des Krieges ankündigt. Es ist der erste Posaunen 
stoß, der die Mauern in Schutt gelegt hat, die wir zum Schutz um uns und 
Dinge gestellt haben, so daß wir nun schutzlos stehen, was selbstverständlich 
war, steht nun in Frage, mein Bett ist nicht mehr selbstverständlich, nicht 
meine Bekenntnisse, meine Tasse, die ich zum Trinken brauche, und meine Taten, 
alles muß Rede stehen. Alle Kreaturen zwingt es vor den letzten Thron, wo 
zwischen Tod und Leben ewig entschieden wird — und das ist der Krieg 
selbst. Nicht sieben Monate Leiden und Pflicht und dann: Fett, pruyle um 
so besser, sondern ewige Unsicherheit, Schöpfernot, der edle Urständ. In 
seinem deutschesten, tief faustischem Werk, in dem Blatt: „Ritter, Tod und 
Teufel", hat Dürer dies gestaltet. Den, der den weg macht, — durch die
	        
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