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gangsperiode, die die Notwendigkeit einer neuerlichen Vorbereitung, 
einer inneren Sammlung herbeiführte. Deshalb typisch, weil sie des 
zufälligen Inhalts entblößt sind und zum einzigen Inhalt ein kos 
misches Gefühl haben, die Art und Weise, wie der Dichter das 
Universum erfühlt hat. So haben denn diese Dichtungen auch mit 
keiner Schule zu tun. Sie gehen bis zu den Wurzeln zurück und 
gehören nicht mehr zu diesem oder jenem Stil, sondern zur Künst. 
Mit ihnen beginnt eine neue konstruktive Möglichkeit der Dichtung, 
wie denn Kassäk sich überhaupt zu einer auf konstruktiver Basis 
bauenden Architektur bekennt und den Elementen seiner Dichtung 
neuerdings auch als Maler zum Ausdruck zu verhelfen bestrebt ist. 
Daher die zusammenfassende Bezeichnung seiner Bilder: Bildarchi 
tektur. Von Kassäk stammt auch die sogenannte Bilddichtung, die 
den Versuch unternimmt, die Wirkung des geschriebenen Wortes 
durch typographische Behelfe zu erhöhen. Zu bemerken ist, daß die 
Bilddichtung, von der übrigens eine Kostprobe auch in das gegen 
wärtige Buch aufgenommen wurde, nicht mit illustrativen An 
sprüchen auftritt, was ja auch dem themalosen Charakter der Ge 
dichte widersprechen würde; es handelt sich hierbei nur um Aus 
beutung und künstlerische Verwertung der durch die Typographie 
gebotenen plastischen und optischen Möglichkeiten. Kassäks Ver 
suche auf diesem Gebiete sind zumindest um ein Jahr älter als die 
Beauduins, der das synoptische Gedicht — offenbar auf Grund 
ähnlicher Erwägungen — ins Leben rief. Nebenbei bemerkt, nicht 
der erste und hoffentlich nicht der letzte Fall, in dem Kassäk an der 
Spitze der neuesten Bestrebungen marschiert und sich unbetretenen 
Wegen anvertraut. 
Zum Schlüsse wollen wir noch einen am häufigsten gegen die 
neuen Gedichte Kassäks erhobenen Vorwurf, den der Eintönigkeit, 
beantworten. Es ist schlechthin unleugbar, daß der autonom gewor 
denen Kunst, die keine Themen oder philosophische Thesen, viel 
mehr ein Erfühlen des Daseins vermitteln will, die Abwechslung 
oder Buntheit in einem weit höheren Maße abgeht als dem konzen 
trischen Gedichte, das mit unendlich variablen Zufälligkeiten 
operiert. Aber dieser Vorwurf trifft nicht nur Kassäks Gedichte. Wo 
Glaube ist, dort ist auch Einschränkung, und wer ohne Glauben ist, 
der findet jede Einschränkung eintönig. Dann ist aber Whitman 
und die Bibel ebenso eintönig wie Kassäk. 
Kassäk ist jetzt siebenunddreißig Jahre alt, nahe dem Alter, 
das nicht nur bei Frauen, sondern auch bei fortschrittlichen Künst 
lern gefährlich, genannt zu werden verdient. Und trotzdem hat er 
noch nie aufgehört, ein Sucher zu sein. Er ist und bleibt ein ewig 
Unzufriedener, ein Voraussetzungsloser, der seine Triebfeder in 
jener unlöschbaren Unruhe hat, die vielleicht nur ein Deckname für 
Kunst ist. Und wir, die mit ihm dieselben Wege wandeln, wissen 
es mit der Gewißheit des Glaubens: am Ende dieser Wege steht 
— der neue Mensch! 
Andreas Gäspär
	        
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