Um die Mitte des Jahrhunderts schrieb Selvatico über die «Zweckmäßigkeit,
in der Malerei auch zeitgenössische Stoffe zu behandeln». Die Diskussionen über
Selvaticos Thema, die politischen und sozialen Erkenntnisse und die ausländi-
schen Einflüsse wiesen den bildenden Künsten eine neue Richtung. Ohne klassi-
fizieren oder nach «genres» einteilen zu wollen, können wir doch sagen, daß
sich drei Strömungen deutlich abzeichnen, die zugleich drei verschiedene Aspekte
des Zeitgeschmacks aufzeigen: Das historische Bild, das Genrebild und die Land-
schaftsmalerei.
Man könnte glauben, das historische und das Genrebild hätten im 17. und 18.
Jahrhundert in der italienischen Malerei ihre Vorläufer gehabt. Aber tatsäch-
lich ist beides im 19. Jahrhundert von ganz anderer Art, Im ı9. Jahrhundert
steht das mehr anekdotische und illustrative Genrebild oft zwischen dem unter-
gehenden Romantizismus und dem beginnenden Verismus. Durch die Art seiner
Erfindungen placiert es sich zwischen das romantische Phantasiebild und das
historische Gemälde.
Im allgemeinen sind die historischen Gemälde als malerische Leistung nicht hoch
zu bewerten; aber man wird sie von Fall zu Fall sorgfältig prüfen müssen, um
Ausnahmen nicht zu übersehen, wie sie z.B. die Bilder Faruffinis und Tomas
bilden. Das Genrebild, weniger programmatisch und prätentiös. führt uns von
den Brüdern Induno zu Favretto, das historische Gemälde von Ussi zu Barabino,
von Celentano zu Maccari und Sciuti. Während das historische Gemälde die
konservative Richtung, das Genrebild mehr den Liberalismus verkörpert, wurde
der revolutionäre Radikalismus auch in Italien erst durch die veristische Erneue-
rung ausgelöst. Diese Erneuerungsbewegung manifestiert sich durch ein neues
ästhetisches Credo, das der Akademie, der romantischen Dekadenz, dem Klassi-
zismus den Krieg erklärt. Der Sentimentalität entgegenwirkend, schließt es doch
das Gefühl nicht aus. Die neue Bewegung ist in ihrem Irrationalismus und ihrem
freiheitlichen Verhalten aufrührerisch, aber ohne selber darüber im klaren zu
sein, ist sie doch die Erbin des Romantizismus. Die Maler, die sich ihr anschlossen,
hatten in ganz Italien die gemeinsame Basis der neuen Prinzipien, aber in jedem
Landstrich nahm die Reform ihre eigenen, charakteristischen Züge an. Man
könnte sagen, daß sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regionale Ver-
schiedenheiten ‘ feststellen lassen, die noch dem Wesen der großen italienischen
Schulen entsprechen, welche die großartige Tradition der italienischen Malerei
hervorgebracht hatten. Es sind deren letzte Spuren, die sich dann in den —
nationalen und internationalen — Einheitsbestrebungen verlieren. Die Bewegung
entstand gleichzeitig mit derjenigen des französischen Impressionismus und ist
ihm verwandt. Ohne Zweifel hat er sie beeinflußt; aber sein Einfluß erstreckte
sich nur auf Ideen und Prinzipien, nicht auf die Technik und auf die malerische
Form. Dafür zeugt nicht nur die unbestreitbare Originalität der italienischen
Maler (z. B. der toskanischen und venezianischen), sondern auch die echte, nicht
nur italienische, aber auch regionale, ja manchmal geradezu ortsgebundene Eigen-
art ihrer malerischen Ausdrucksmittel. Die wenigen (z. B. De Nittis und Boldini),
die sich dem französischen Geschmack angeglichen haben, zeigen nur um so
deutlicher, wie sehr die anderen der italienischen Überlieferung treu geblie-
ben sin.
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