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Jahresbericht 1947 der Zürcher Kunstgesellschaft
Im Leben von Kandinsky bedeutete das Jahr 1921 noch einmal Schicksal und Wende.
Nach ersten Münchener Jahren von 1897 bis 1903, nach Aufenthalten in Tunis, Kairuan,
[talien, Frankreich, Berlin und einer zweiten Arbeits- und Wirkenszeit in München seit
1908, war er 1914 nach Rußland zurückgekehrt, wo er, nach seiner Heirat mit Nina
Andreewsky, durch die Revolutionsregierung 1918 als Mitglied in das Kunst-Kollegium
beim Volksbildungskommissariat und als Professor an die Kunsthochschule in Moskau be-
rufen wurde, 1919 als Leiter des Museum für malerische Kultur und an das Institut für
Kunstkultur, 1920 als Professor an die Universität Moskau. Noch 1921 wurde er Gründer
and Vizepräsident der russischen Akademie für Kunstwissenschaft. Doch erwies sich eben
in jener Zeit die Unvereinbarkeit seines künstlerischen Schaffens mit dem politischen
System. Radek ermöglichte ihm gegen Ende 1921 die Ausreise aus Rußland. Kandinsky
wandte sich nach Berlin, wurde 1922 hoch geschätzter Lehrer am Bauhaus in Weimar, das
L926 nach Dessau sich verziehen und bald bei dem auch in Deutschland einsetzenden absolu-
tistischen Regierungssystem völlig verschwinden mußte. Kandinsky wählte für seine zweite
Emigration nach dem Westen Paris. Dort ist er im Dezember 1944 achtundsiebzigjährig
gestorben. Vielleicht entspringt das Drohende, Dunkle und Wilde, das man in Teile unseres
Bildes hineinempfinden oder aus ihnen herauslesen kann, auch außerkünstlerischen Er-
kenntnissen und Ahnungen des Künstlers im Jahre 1921. — Vielleicht auch nicht.
Von OskarKokoschk a besitzt das Kunsthaus seit Jahren im dunkeln Bildnis der
Schauspielerin Else Kupfer ein Frühwerk von 1910, und im Liebespaar mit Katze ein
Hauptwerk aus dem Jahr 1917. Die Montana-Landschaft ist im Sommer 1947
während eines längeren Aufenthaltes des Künstlers im Wallis entstanden, neben einigen
Bildern der Burghügel von Sitten, einem Rhonetal und einem Matterhorn. Die Schwarz-
Weiß-Reproduktion auf Tafel III zerreißt den Vordergrund, den im Bild die Farbe schließt
und gliedert. Der Standpunkt des Malers ist etwas unterhalb des Kurortes Montana-Ver-
mala. Im Mittelgrund stehen eng gedrängt die roten Dächer und rotvioletten und gelblichen
Hauswände des Dorfes Montana inmitten scharf grüner Wiesen. Auf grüner Rasenterrasse
liegt gegenüber in der Höhe das Dorf Vercorin, von dem der Berg in grünen Stufen zu den
Felsen des Roc d’Orzival aufsteigt. Die düster schwarzblaue Pyramide gegenüber gipfelt
vorerst im Illhorn, dann über den zackigen Felsengrat im Fels und Schnee der Bella Tola.
Siders versteckt sich hinter der Silhouette von Montana und der steilen Wand am Eingang
zum Einfischtal, an der tagsüber die gelben Postautobusse mit hellem Dreiklang hinauf und
hinunter klettern. Am Fuß des Illhorns liegt im Tal der Pfynwald und das Dorf Susten,
darüber hin geht der Blick in der Talbreite Rhone aufwärts gegen Brig.
Die Farbe teilt im starken Gegenspiel der Sonnen- und der Schattenhänge, der leuch-
tenden und der dumpfen Flächen, über alle malerischen Einzelheiten hinweg das Bild im
Großen. Unter dem Mantel der sprühenden Oberfläche wölben und lagern die Massen sich
räumlich und körperlich in topographisch-zeologischer Wahrheit und Sichtbarkeit.
Das Bildnis Adele Astaire von 1926 schlägt die Brücke zwischen Liebespaar mit
Katze und der Montana-Landschaft. Wenn in dieser die Farben sprühen und glitzern, so
strahlen sie hier in größeren Flächen aus stiller Tiefe. Die englische Sängerin Adele Astaire
ist gelagert vor ihrem Flügel mit aufgestelltem Deckel. Ueber der schwarzweißen Klaviatur
und den offenen Notenblättern steht ein Gemälde ohne Rahmen, darauf eine rot erhitzte