Volltext: Jahresbericht 1955 (1955)

tion auf das bare Erscheinungshafte des Malerischen, auf vorder- 
gründige Haut. Manet verzuständlicht das einmalige Ereignis det 
Flucht Rocheforts, und genau bedacht nimmt er damit dem 
Historienbild seinen spezifischen Gehalt, das, was sein Wesen 
ausmacht, demnach: Schilderung eines Unwiederholbaren zu sein. 
Schon mit der «Erschießung Maximilians von Mexiko» (weniger 
ausgesprochen im «Untergang der Alabama») hatte Manet eine 
solche Grenzsituation des Historienbildes gestaltet und allein der- 
weise die Krise der Geschichtsmalerei schöpferisch überwunden. 
An den verschiedenen Entwürfen läßt sich der Prozeß fortschrei- 
tender Verdrängung alles Emotionellen zugunsten einer «trocke- 
nen, fast grausamen Kälte des Gefühls» verfolgen, der dann doch 
wieder, konsequent übersteigert, namentlich in der «Evasion», 
den Eindruck dämonischer Düsternis entspringen läßt. Gerade 
jene Verzuständlichung jedoch schuf die Bedingung für die Mög- 
lichkeit, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wenig- 
stens einige wirklich bedeutende Historienbilder entstehen 
konnten, in denen ein vordringlichstes Gebot erfüllt ist, nämlich 
die Kongruenz von «Wahrheit» und künstlerischer Gestaltung; 
und das heißt jetzt: das Geschehnis erscheint als zeitgenössisches 
Ereignis gefaßt, getreu von Manets Grundformel «Il faut &re de 
son temps». Seit der Französischen Revolution war die Kraft des 
Mythos als kunstbildende Potenz erloschen — man flüchtete sich 
in den Realismus einer historischen Sensationsmalerei hinein, 
griff nach fataler Kostümierung und Maskerade, um der utopi- 
schen Programmatik geschichtlicher und psychologischer Wahr- 
scheinlichkeit Genüge zu tun. Namen wie Delaroche, Kaulbach, 
Feuerbach, Cornelius legen von dem Umstand erschreckend 
Zeugnis ab. Eben diese Gefahren weiß Manet durch seine von 
Grund auf neue Konzeption des Geschichtsbildes zu bannen. 
Manet hat außer der «Evasion de Rocheforty» verschiedentlich 
Marinen gemalt. In den Hafenbildern (Le Port de Bordeaux, Le 
Port de Boulogne, 1869) wie auch in den Gemälden, die «Fischer 
auf hoher See» zeigen, tritt indes der ereignishafte geschichtliche 
Aspekt völlig zurück: es triumphiert rein jener Hang nach Ver-
	        
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