Felix Vallotton: Le bain au soir d’ete, 1892
In der letztjährigen Vallotton-Ausstellung des Zürcher
Kunsthauses fand ein größeres Bild des 27jährigen Künstlers
bei allen Besuchern — Laien und Fachleuten — besondere
Beachtung. In dem von Felix Vallotton selbst erstellten Livre
de Raison (= Werkverzeichnis) wird es, obwohl 1892 datiert,
als erstes Werk des Jahres 1893 mit der Nummer 134 und
folgendem Titel aufgeführt: «L’ete. Femmes se baignant dans
piscine de briques en plein air.» In der maßgebenden Mono-
graphie von Hedy Hahnloser-Bühler: «Felix Vallotton et ses
amis. Paris 1936» nennt die Verfasserin das Bild «Le bain au
soir d’ete». Unter diesem Namen ist das Bild durch Ausstellun-
gen und die neuere Literatur bekanntgeworden. Nicht nur im
(Euvre Vallottons, sondern in der französischen Malerei der
neunziger Jahre überhaupt gebührt dem Bild ein besonderer
Platz. Es zeigt uns eine reich orchestrierte Figurenkomposition.
Teils in einer frei gestalteten Landschaft, teils in einer aus
Backsteinen gemauerten Piscine tummeln sich nicht weniger
als 23 weibliche Gestalten verschiedenen Alters: junge, halb-
wüchsige und reife Mädchen, aber auch Mütter und sogar —
besonders merkwürdig — eine alte Frau. Sie alle geben sich
unbefangen den Freuden des Wasser- und Sonnenbades hin.
Frohe Lebenslust, aber auch ein feiner, ironisierender Zug ins
Komische bestimmen den Gesamteindruck des Bildes. Fast wie
in einem Musterbuch sind die teils nackten, teils halb oder
ganz bekleideten Frauen in den verschiedensten Stellungen
und Tätigkeiten wiedergegeben. Sie sind um eine zentrale und
verbindende Gestalt in vier Gruppen angeordnet: zwei vorder-
und zwei hintergründige. Dabei kann man allerdings nur be-
dingt von Vorder- und Hintergrund sprechen, denn das ganze
Bild ist bewußt flächig angelegt, ja es wirkt geradezu wie ein
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