Volltext: Jahresbericht 1976 (1976)

oegegnen. Er wendete sich bereits kurz darauf 
wieder der Farbe und einem neuen Aufbruch ins 
Reich der Phantasie zu. Aber geläutert durch die 
kurze Spanne Zeit, in der er nach neuen Formen 
und Ausdrucksmitteln suchte. Mirö hat wiederholt 
auch Materialbilder und Collagen gemacht — das 
«Material» hat ihn nie mehr ganz losgelassen. So 
ausdrucksstark wie im Jahre 1929, eingeläutet 
durch die « Danseuse espagnole» von 1928, sind 
sie nie wieder gewesen. 
schrift — Masson setzte es in die Malerei um. Er war 
ainer der ersten Maler, die sich unmittelbar, unter 
dem Diktat des Unbewussten, mitzuteilen suchten. 
Auch hier ist unser Bild ein markantes Beispiel. 
Fisch- und Vogelköpfe begegnen sich auf der 
«Coquillage» — archaische Metaphern, die uns 
schon durch die präkolumbianische Kunst geläufig 
sind. Urwesen mit symbolgeladenen Inhalten, hier 
nur flüchtig skizziert, knapp als Form mitgeteilt. 
Auch Masson weicht dem malerischen Hintergrund 
aus. Er beklebt die Leinwand mit Sand, eine 
Technik, die er in diesen Jahren häufig anwendet, 
um — wie Herta Wescher schreibt — die « Kräfte der 
Erde in ihren geringsten, wandelbarsten Bestand- 
teilen sichtbar zu machen». Masson geht nicht so 
weit wie Mirö — er geht mit sich selbst nicht so 
stark ins Gericht. Farbe leuchtet noch als maleri- 
scher Aspekt aus den stark reduzierten Formen. Die 
Linie setzt gleichsam Stenogramme über Form und 
Grund. Massons Gemälde fällt in eine Zeit, da er 
sich vor allem anderen vom automatischen Steno- 
gramm angezogen fühlt. Noch 1925 war er ein 
Anhänger des Kubismus, den er zwar erst in seiner 
Auflösung adoptierte. Zwei Jahre später begegnen 
wir der zitternden, vibrierenden Linie, die die 
angespannte, nervöse Handschrift des Malers ver- 
-ät, dessen, der sie niederschreibt. Der Gegenstand 
beginnt sich in Metaphern aufzulösen — um übrigens 
wenige Jahre später wieder in die konkrete Form 
einzumünden. Die Zeit um 1930 bedeutet eine 
Sternstunde im Leben Massons. Ganz ähnlich wie 
Mir6 malt auch er in diesen kurzen Jahren Porträts 
imaginäre, in Tusche schnell hingeschriebene 
Bildnisse seiner Dichterfreunde. 1929 bricht 
Masson mit dem Surrealismus, obwohl er auch 
weiterhin mit surrealistischen Künstlern ausstellt. 
Das Jahr 1928, das Jahr unseres Bildes, ist Höhe- 
ounkt und Wende im Leben Massons. 
Abgetrennt vom persönlichen Suchen nach einer 
neuen Bildform, die im « Portrait Georges Auric» 
zum Ausdruck kommt, verbindet sich das Bild mit 
Tendenzen, die im Surrealismus ganz allgemein 
angesprochen werden. Die Collage als Bildform ist 
den surrealistischen Malern, herausgewachsen aus 
dem Dadaismus, ein wohlvertrautes und selbstver- 
ständliches Mittel, Bilder zu machen. Mirö hatte 
bereits 1917 Collagen der Dadaisten kennengelernt, 
zur Zeit als Picabia in Barcelona lebte. 1919 
begegnete er in Paris Picasso und lernte kurz darauf 
Tzara und den Dichter Reverdy kennen. 1924 trat er 
dem Freundeskreis um Breton, Aragon, Eluard bel. 
Er steht Arp nahe und Max Ernst. Die embryonalen 
«imaginären Portraits» verraten auch diese Freund- 
schaft. 
Freundschaft verband Mirö auch mit Andre 
Masson. Sie waren seit 1920 Nachbarn, nämlich 
seit dem Augenblick, da Mirö in die rue Blomet zog. 
Dass beide Maler Freunde wurden, erklärt sich wohl 
auch durch ihre geistige Verwandtschaft, die In 
ihrem malerischen Werk — unbeeinflusst von- 
ainander — zum Ausdruck kommt. 
Masson ist vielleicht der treueste Freund der Dichter 
Jewesen, die sich um Andre Breton als Zentrum 
versammelten. Was die Dichter, vor allen anderen 
Breton, von der Literatur forderten, nämlich die 
« Ecriture automatique», das heisst die aus dem Erika Billeter 
Unterbewusstsein diktierte, spontane Nieder- 
‘02
	        
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