LUCIO FONTANA:
SONCETTO SPAZIALE, «BUCHI», 1949/50
Fontana hatte soeben, 1948, sein erstes Manifest
iber den Raum, das Manifesto Spaziale, ver-
öffentlicht, als er umgehend begann, seine Thesen
n die Wirklichkeit umzusetzen: nämlich den Raum
als die eigentliche und wesentliche Konzeption
seiner Malerei anzusehen und zu verwirklichen. Der
als dahin vorwiegend als Bildhauer und Keramiker
tätige Künstler, der eine Phase barocker, plastischer
Werke hinter sich hatte, manifestierte seine Vor-
stellung mit einer Direktheit, die es bisher im
Bereich der Kunst nicht gegeben hatte: er durch-
Ööcherte die Leinwand, um ihre Zweidimensionalität
zu zerstören und den hinter ihr befindlichen Raum
als dritte Dimension des Bildes mitsprechen zu
ı1assen. In dieser Geste lag eine Absage an die
Tradition, die daran gewöhnt war, Raum malerisch
zu entwickeln, und lag zugleich auch ein Angriff
auf die Unantastbarkeit und Unzerstörbarkeit des
Bildgrundes. Und doch war es auch eine Geste der
Befreiung, die für das persönliche Werk Fontanas
yon da an beherrschend sein sollte. Fontana nannte
von diesem Zeitpunkt an alle Werke, ob Bilder oder
Plastiken, «Concetti spaziali». Die ersten durch-
'öcherten Bilder entstanden 1949. Zu diesen
Anfängen eines neuen Bildstils gehört das Geschenk
an das Kunsthaus. Die Leinwand ist mit kleinen
Löchern, « Buchi» und Einschnitten perforiert, die
sich in einer Art graphischer Struktur über die Bild-
fläche legen. Über Jahre machte Fontana Bilder
mit « Buchi» in immer wieder anderen Strukturen,
aber immer mit dem gleichen Ziel: den Raum als
Wirklichkeit und nicht als Illusion ins Bild ein-
zuführen. In einer langen Reihe von Bildern hat er
die « Buchi» mit Glassteinen gehöht, um ihnen
Glanz zu verleihen. 1958 erfand er jene folgenreiche
Bildform, die ihn berühmt machte: er schnitt in die
Leinwand mit spontaner Geste. Diese «Tagli»
naben sich heute —fälschlicherweise — In der Vor-
stellung von Fontanas Werk als Hauptakzent in
den Vordergrund geschoben. Aber auch sie
beherrschen nur einige Jahre seines Lebens.
Fontana war ein viel zu bewegter Geist, um
nicht immer wieder nach neuen Bildformen zu
suchen. Aber « Concetti spazlali» bleiben sie alle.
Die «Buchl» sind in monochrome — das heisst
eingefärbte oder ungrundierte — Naturleinwand
geschnitten. Nach Malewitsch, der sich bereits
1913 mit der monochromen Fläche beschäftigt hat,
ist Fontana der erste Maler, der sich von neuem
mit diesem Problem auseinandersetzt, das in der
Folge eine feste Tradition im Bereich der modernen
Malerei werden sollte.
Man muss sich fragen, ob Fontana die Durch-
löcherung seiner Leinwand neben ihrer räum-
lichen Konzeption und ihren zweifellos auch
dekorativen Werten, die durch die Anordnung der
Löcher entstehen, auch inhaltlich interpretiert
sehen wollte. Fontana war den Problemen seiner
Gegenwart leidenschaftlich aufgeschlossen. Er
interessierte sich passioniert für die kosmischen
Entwicklungen und sah in der Rakete die Architektur
der Zukunft. Einen Bruchteil dieses kosmischen
Raumes als Realität in die Kunst umzusetzen war
eines der Ziele seiner « Buchi». Viele dieser
Kompositionen aus den Jahren 1949/50 bis 1955
haben kreisende Bewegungen. Die Löcher sind
gruppiert und wie Sternenhaufen und Sternen-
nebel angeordnet. Man ist versucht, an Galaxien
zu denken. Fontana geht es bei dem Versuch, neue
Räumlichkeiten des Bildes zu entwickeln, gleich-
zeitig darum, eine Analogie zur Wissenschaft seiner
Zeit herzustellen. Unter diesem Aspekt betrachtet,
ist das Durchlöchern der Leinwand als direkter Akt
der Umsetzung von kosmischem Raum anzusehen.
Die « Concetti spaziali» — Verräumlichungen — darf
man als künstlerischen Reflex der modernen
Kosmologie verstehen, eine «Hommage» an die
Nissenschaft: Fontanas Antwort als Künstler auf
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