führt auch die Annahme, dass die Bilder nicht auf
der Reise selbst, sondern nach der Rückkehr nach
Paris anhand von Skizzen entstanden sind5, was
die Ungenauigkeiten teilweise erklärt. Vallottons
zentrales Anliegen drückt sich im Bildtitel aus: «La
Neva gelge. ciel nuageux tres noir». In impressio-
nistischem Sinne konzentrierte sich Vallotton auf
die Wiedergabe des stimmungsmässigen Eindrucks:
die öde Weite des hellen Vordergrundes und des
schwer lastenden wolkenverhangenen Himmels
sind die zentralen Aussagen des Bildes, wobei die
gliedernde Hand des Künstlers sicher willentlich
.n die topographischen Verhältnisse eingegriffen
hat. Die geometrisierende Ordnung des Bildes in
drei horizontale Abschnitte bestimmt wesentlich
den Gesamteindruck; in dieser Beziehung entfernt
sich Vallotton jedoch ganz eindeutig von der im-
aressionistischen Betrachtungsweise, die den un-
nittelbaren Oberflächencharakter der sichtbaren
Umwelt zur eigentlichen Bildaussage macht. Bei
Vallotton handelt es sich um ein «paysage com-
20s6», eine Bildgattung, die in seinem Schaffen
vereits kurz nach der Jahrhundertwende auftritt und
die In seinem Spätwerk zusehends an Bedeutung
gewinnen wird®, Man würde jedoch den Reiz dieses
3ildes verkennen, würde man nur auf die streng
gegliederte Flächenkomposition hinweisen und
aıicht auf die ausserordentlich fein abgestuften
rarbnuancen, die die drei erwähnten Bildzonen
modulieren. Vallotton, der in seinem Schaffen in der
iegel die streng begrenzte, flächig aufgetragene
7arbe so eingesetzt hat, dass der einzelne Pinsel-
strich kaum mehr wahrnehmbar ist, gestattet sich
.n diesem Bild eine für ihn beinahe ungewöhnliche
Nalerische Haltung. So wird der Vordergrund von
einzelnen langgezogenen horizontalen und deutlich
erkennbaren Pinselstrichen belebt, während im
düsteren Himmel, in dem der Rauch der Kamine
ın die lastenden Wolken übergeht, die Farben zu
einer unendlich reichen Palette von dunklen Grau-
und Brauntönen ineinander verrieben sind. Vallot-
{On verzichtet in diesem Bild auf jedes belebende
Detail. Die Stadtansicht, die links und rechts,
anders als bei den anderen bereits erwähnten An-
sichten der Peter-Paul-Festung, seitlich nicht
gerahmt wird, soll in ihrer ganzen Weite erfasst
werden. In dieser Beziehung ist das Bild des Kunst-
ıauses das konsequenteste, vielleicht auch das-
‚enige, das sich dem Betrachter am wenigsten leicht
arschliesst; dass es aber Vallotton einem Betrachter
nie leicht machen wollte, ist in der Literatur häufig
arwähnt worden?, wobei zu beobachten ist, dass
gerade diejenigen Bilder, in denen diese herme-
tische Haltung des Künstlers am deutlichsten aus-
gesprochen wird — je länger die Zeit uns von ihrem
Entstehungsdatum trennt —, um so eindrücklicher
das spezifische Kunstwollen des Künstlers aus-
drücken. Wie persönlich Vallottons Sicht dieser
Stadt ist, wird jedermann ermessen können, der
Leningrad aus eigener Anschauung kennt, wird
doch das Bild der historischen Innenstadt durch
ainen eleganten Klassizismus geprägt, der in man-
zhen Details zwar nicht ganz geglückt erscheint,
als Gesamtanlage jedoch einen festlichen Rahmen
alldet für eine wahrhaft imperiale Residenz. Es
<ommt hinzu, dass die historischen Gebäude durch
eine zarte Bemalung eine fast spielerische Leichtig-
xeit aufweisen (die Fassade der Ermitage beispiels-
weise lebt von einem zarten Grün-weiss-Klang,
diejenige der Admiralität ist gelb und weiss, andere
Monumente sind rosa oder grau und weiss getönt).
Yon all dem ist in Vallottons Bildern nichts zu
spüren. Seine Russlandreise war offensichtlich
nicht vom Wetterglück begünstigt, neblige und
düstere Tage haben ihm den Blick für die serene
Festlichkeit der Stadt nicht erschlossen. Die trüben
Stadtvisionen kontrastieren denn auch in auffälligem
Masse von den unmittelbar nachher auf der Italien-
reise entstandenen Bildern, in denen das warme
Sonnenlicht des Landes die Konturen der Gebäude
schärfer akzentuilert.
Der Zufall will es, dass das zweite Bild, das 1977
in die Sammlung des Kunsthauses gekommen ist,
7r