Volltext: Jahresbericht 1977 (1977)

führt auch die Annahme, dass die Bilder nicht auf 
der Reise selbst, sondern nach der Rückkehr nach 
Paris anhand von Skizzen entstanden sind5, was 
die Ungenauigkeiten teilweise erklärt. Vallottons 
zentrales Anliegen drückt sich im Bildtitel aus: «La 
Neva gelge. ciel nuageux tres noir». In impressio- 
nistischem Sinne konzentrierte sich Vallotton auf 
die Wiedergabe des stimmungsmässigen Eindrucks: 
die öde Weite des hellen Vordergrundes und des 
schwer lastenden wolkenverhangenen Himmels 
sind die zentralen Aussagen des Bildes, wobei die 
gliedernde Hand des Künstlers sicher willentlich 
.n die topographischen Verhältnisse eingegriffen 
hat. Die geometrisierende Ordnung des Bildes in 
drei horizontale Abschnitte bestimmt wesentlich 
den Gesamteindruck; in dieser Beziehung entfernt 
sich Vallotton jedoch ganz eindeutig von der im- 
aressionistischen Betrachtungsweise, die den un- 
nittelbaren Oberflächencharakter der sichtbaren 
Umwelt zur eigentlichen Bildaussage macht. Bei 
Vallotton handelt es sich um ein «paysage com- 
20s6», eine Bildgattung, die in seinem Schaffen 
vereits kurz nach der Jahrhundertwende auftritt und 
die In seinem Spätwerk zusehends an Bedeutung 
gewinnen wird®, Man würde jedoch den Reiz dieses 
3ildes verkennen, würde man nur auf die streng 
gegliederte Flächenkomposition hinweisen und 
aıicht auf die ausserordentlich fein abgestuften 
rarbnuancen, die die drei erwähnten Bildzonen 
modulieren. Vallotton, der in seinem Schaffen in der 
iegel die streng begrenzte, flächig aufgetragene 
7arbe so eingesetzt hat, dass der einzelne Pinsel- 
strich kaum mehr wahrnehmbar ist, gestattet sich 
.n diesem Bild eine für ihn beinahe ungewöhnliche 
Nalerische Haltung. So wird der Vordergrund von 
einzelnen langgezogenen horizontalen und deutlich 
erkennbaren Pinselstrichen belebt, während im 
düsteren Himmel, in dem der Rauch der Kamine 
ın die lastenden Wolken übergeht, die Farben zu 
einer unendlich reichen Palette von dunklen Grau- 
und Brauntönen ineinander verrieben sind. Vallot- 
{On verzichtet in diesem Bild auf jedes belebende 
Detail. Die Stadtansicht, die links und rechts, 
anders als bei den anderen bereits erwähnten An- 
sichten der Peter-Paul-Festung, seitlich nicht 
gerahmt wird, soll in ihrer ganzen Weite erfasst 
werden. In dieser Beziehung ist das Bild des Kunst- 
ıauses das konsequenteste, vielleicht auch das- 
‚enige, das sich dem Betrachter am wenigsten leicht 
arschliesst; dass es aber Vallotton einem Betrachter 
nie leicht machen wollte, ist in der Literatur häufig 
arwähnt worden?, wobei zu beobachten ist, dass 
gerade diejenigen Bilder, in denen diese herme- 
tische Haltung des Künstlers am deutlichsten aus- 
gesprochen wird — je länger die Zeit uns von ihrem 
Entstehungsdatum trennt —, um so eindrücklicher 
das spezifische Kunstwollen des Künstlers aus- 
drücken. Wie persönlich Vallottons Sicht dieser 
Stadt ist, wird jedermann ermessen können, der 
Leningrad aus eigener Anschauung kennt, wird 
doch das Bild der historischen Innenstadt durch 
ainen eleganten Klassizismus geprägt, der in man- 
zhen Details zwar nicht ganz geglückt erscheint, 
als Gesamtanlage jedoch einen festlichen Rahmen 
alldet für eine wahrhaft imperiale Residenz. Es 
<ommt hinzu, dass die historischen Gebäude durch 
eine zarte Bemalung eine fast spielerische Leichtig- 
xeit aufweisen (die Fassade der Ermitage beispiels- 
weise lebt von einem zarten Grün-weiss-Klang, 
diejenige der Admiralität ist gelb und weiss, andere 
Monumente sind rosa oder grau und weiss getönt). 
Yon all dem ist in Vallottons Bildern nichts zu 
spüren. Seine Russlandreise war offensichtlich 
nicht vom Wetterglück begünstigt, neblige und 
düstere Tage haben ihm den Blick für die serene 
Festlichkeit der Stadt nicht erschlossen. Die trüben 
Stadtvisionen kontrastieren denn auch in auffälligem 
Masse von den unmittelbar nachher auf der Italien- 
reise entstandenen Bildern, in denen das warme 
Sonnenlicht des Landes die Konturen der Gebäude 
schärfer akzentuilert. 
Der Zufall will es, dass das zweite Bild, das 1977 
in die Sammlung des Kunsthauses gekommen ist, 
7r
	        
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