Volltext: Jahresbericht 1978 (1978)

ZWEI AQUARELLE VON PAUL KLEE 
Bis vor kurzer Zeit haben die sich im Kunsthaus 
sefindenden Werke von Paul Klee fast ausschliesslich 
die Tendenzen, Arbeitsvorgänge und technischen 
Verfahren seiner frühen und letzten Schaffensjahre 
dokumentiert. Als Vertreter seiner Bauhaus-Zeit gab 
as nur das « pointillistische» « Porträt Mr. A. L.» 
(1921), einer der frühesten Versuche Klees zu trans- 
parenter Farbgestaltung. 
Die Voraussetzungen für eine gehaltvolle Vertretung 
des Werkes von Klee sind durch zwei Aquarelle 
aus dem Vermächtnis von Frau Mabel Zuppinger kon- 
kreter geworden: durch ein repräsentatives Beispiel 
seiner systematischen Untersuchungen von farbigen 
und tonalen Veränderungen, die er während der 
Bauhaus-Jahre unternahm, und durch ein sehr selte- 
nes Dokument aus dem für Klee schwierigen Jahr 
1936. 
1919 an das Weimarer Bauhaus berufen, begann Klee 
in den Jahren 1920—1925 «exakte versuche im 
bereich der kunst». In theoretischen Überlegungen 
und künstlerisch-praktischen Versuchen beschäf- 
tigte er sich mit der Farbenlehre. Im April 1921 schrieb 
er an seine Frau, er arbeite an einer Reihe neuartig 
konzipierter Aquarelle mit streng gebauten tonalen 
Stufungen aus nur zwei Farben, die er nicht mehr 
gefühlsmässig in die Komposition einsetze. 1922 
zeichnete er mit schalkhaftem Humor die einfachen 
Umrisse des « Schrecks eines Mädchens» (Gug- 
genheim Museum, New York), ein reizvolles, fabulier- 
freudiges und groteskes Spiel. Ein alarmiertes 
Nicht-mehr-Kind in komisch langem Kleid, mit einer 
Korallenkette um den Hals und einer Erwachsenen- 
frisur wird von einem roten, aus der rechten Bildecke 
herausfahrenden Pfeil bedroht und breitet im 
pubertären Schreck seine Arme aus. Der grosse Kopf 
erinnert an das alte erotische Symbol bauchiger 
Flaschen. Darin, aufs Einfachste reduziert, im Profil 
und en face zugleich projiziert, das Gesicht und 
die ungleichen Augen, die zwei unterschiedliche 
Schreckgefühle suggerieren. 
1923, in seinem «Jahr des Theaters», konstruierte 
Klee die «Marionette 7a», welche die Grundforme: 
des vorangehenden « Schrecks» beibehält. Neu 
ist der Spitzhut, das Mäntelchen und das preziös ge 
kräuselte Kunsthaar, neu sind vor allem die bild- 
nerischen Mittel und der Gesamtinhalt. Es ist diesme 
ein Kind mit grossem Kopf und grossen Augen — 
30 wie Kinder Kinder malen —, das Klee in ein mecha 
nisches, hüftlahmes Puppenwesen mit ausgebreitet 
aufgehängten Armen verwandelt, eine der Marione* 
ten, die sein «Maestrone» in der «Jahrmarkt- 
musik» (1924) an der Schnur lenkt. Es ist den skur 
rilen, bizarren Kreaturen, Automaten, Apparaturen, 
«chemischen Männlein» verwandt, die Klee in seiner 
bildnerischen Wundergarten heranzüchtete, 
fasziniert durch die nächtlichen Phantasien von 
E.T. A. Hoffmann. 
Die ganze Fläche dieses Aquarells ist in ein feines 
Liniennetz verspannt und mit mehreren transparenter 
Farbschichten in einem komplizierten technischen 
Verfahren bedeckt, das Klee « Lasieren» nannte. Vo: 
der flachen, düsteren Raumfolie aus Blau, Grau, 
Braun und Schwarz steht die asymmetrische, abe! 
harmonisch ausgewogene, glasbildhafte Puppe: 
delikate Nuancierungen von Grau und Rot, die wir 
zwei selbständige musikalische Stimmen in Skalen 
und Doppelklang geführt werden. Was als ein ge‘ 
metrisches Spiel Klees zeichnerischer Phantasie 
begonnen hatte, gelangte in einem bestimmten 
Moment zu einem spezifischen Ausdruck. Die 
mathematisch proportionierten Farbbewegungen, de 
Bewegungsfluss der Farben, ihre Lockerung und 
Verdichtung, ihre Aufhellung und Verdunklung, ihre 
«Erhitzung» und «Abkühlung », ihr Nebeneinander 
und ihr Zwischenspiel gipfeln in drei brennenden 
Signalen der Angst, des Schrecks — im transparenter 
Rot des Gesichts und im zähen Rot des Hutes 
sa:
	        
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